Ein Leutnant
über die
Okkupation
244 DER KRIEG ZU ENDE
Ich habe bei Wiedergabe einiger über militärische Vorgänge an meine
Eltern gerichteten Briefe betont, daß es sich nicht um Berichte eines
Generalstäblers, sondern um Eindrücke und Momentaufnahmen eines
jungen Husaren handle. Ich habe ihnen wie meinen ganzen Kriegserleb-
nissen einen größeren Raum gewährt, weil ich wünsche, das meinige zur
Erhaltung und Belebung militärischen Geistes in unserer heranwachsenden
Jugend beizutragen. Wehrlos — ehrlos. Wenn ich jetzt einige Briefe folgen
lasse, die ich während des Waffenstillstandes aus Amiens über die politische
Lage nach Hause richtete, brauche ich kaum hervorzuheben, daß ich nach
einem halben Jahrhundert mit dem Lächeln des Alters und der Erfahrung
auf manche meiner damaligen Urteile zurückblicke.
Am 6. März schrieb ich: „Jetzt ist ja ganz Friede. Die französischen
Zeitungen, die wir hier sehr regelmäßig lesen, predigen alle Rache: Silence,
patience, vengeance! Die Bauern danken aber Gott, daß der Krieg zu Ende
ist. Wie sich Frankreich so bald von Gebietsabtrennungen, Menschenverlust,
Kontributionen, Requisitionen, fünf Milliarden, endlich schlechter Ernte
und großer Sterblichkeit bei allen möglichen Epidemien erholen will, ist
noch nicht abzusehen. Die Gegenden um Metz, Varennes, Reims, Amiens,
das ganze Somme-Ufer, ebenso die Seine von Rouen bis Pont Audemer
sind gewiß auf fünfzig Jahre ruiniert. Die okkupierten Städte sind fast alle
infolge der Köntributionen überschuldet. Von dem Elend in einzelnen
Distrikten sich einen Begriff zu machen, ist völlig unmöglich. Die Zähigkeit
und Vitalität der Franzosen ist aber doch sehr groß. Wir essen hier auf der
Kommandantur zusammen, der General, die Generalin, Talleyrand, ein
Dr. Oppler, der Garnisonsarzt hier ist, und ein Leutnant Schellong, der
Auditeur der Kommandantur ist. Das Essen ist sehr gut. Wir haben einen
Koch und Unterkoch, dafür aber ziemlich teuer. Frühstück und Essen pro
Tag etwa anderthalb bis zwei Taler. Es ist das sehr viel, doch lange nicht
so viel, als die meisten anderen bezahlen müssen. Seit dem Waffenstillstand
sind die Offiziere, was Essen betrifft, wirklich in einer schlimmen Lage. Seit
das Requirieren aufgehört hat, stellen die Franzosen die unglaublichsten
Preise. Bei den hier in der Nähe liegenden Schwadronen meines Regimentes
zahlen die Offiziere zwei Taler täglich und essen dafür ganz schauderhaft.
Adolf zahlt in Chantilly bis jetzt vier Taler täglich und sagt, es wäre auch
nicht sehr gut. So gute Farbe wie während des Feldzuges habe ich nicht
mehr. Es geht aber den meisten so, daß, während wir schlecht aßen,
schliefen usw., sie wohler waren als jetzt. Reiten tue ich sehr viel. Ich schrieb
auch schon, daß hier hübsche Reitwege sind. In die Kirche gehe ich fast
jeden Sonntag mit dem General. Geschrieben hätte ich schon eher, wenn
ich nicht Montag und Dienstag in Chantilly und Saint-Denis gewesen wäre.
Adolf, der mit seinem Regiment in Saint-Denis liegt, schien mir sehr wohl