DIE ROTE FAHNE 245
und munter. Montag aß ich mit ihm und seinem Rittmeister, dem Fürsten
Fritz Wittgenstein, in Chantilly. Die Nacht blieb ich in einem schönen
Chäteau eine Stunde von da, wo Paul Bülow liegt. Am Dienstagmorgen
ritten wir spazieren und fuhren um zwölf nach Saint-Denis. Wir fuhren von
da per Wagen nach dem Moulin d’Orgemont, von wo man Paris sehr schön
sah. Es war herrliches Wetter, nur nicht sehr klar. Doch konnte man Pan-
theon, Arc de Triomphe, Invalidendom, Belleville, Montmartre mit bloßem
Auge ganz deutlich sehen, mit dem Fernrohr die Vendöme-Säule, die rote
Fahne der Commune auf dem Institut und vieles andere. Der Mont
Valerien schoß ziemlich stark, und die südlichen Forts, die man aber nicht
sehen konnte, antworteten ihm. In Asnieres, das gerade unter uns lag, war
nichts los. Auch nach Argenteuil, Saint-Germain en Laye, Montmorency,
Enghien usw. war der Blick sehr hübsch.““ Als wir, mein Bruder und ich,
vom Moulin d’Orgemont auf die Kämpfe zwischen den Pariser Kommu-
nisten und den Versailler Regierungstruppen herabblickten, wie man im
Zirkus auf die Arena sieht, dachten wir nicht, daß kaum ein halbes Jahr-
hundert später die Franzosen sich an den von unseren Spartakisten und
Kommunisten provozierten Straßenkämpfen von München und Dresden,
in Thüringen und im westfälischen Industrie-Revier ergötzen würden.
Am Pfingstsonntag schrieb ich: ‚In Amiens geht es jetzt zu wie in
Die
Commune
Friedenszeiten, also ganz nett. Gestern war Rennen, abends wurde bei Graf Graf Karl
Lehndorff, der hier Zivilkommissar ist, getanzt, wozu auch zwei distin-
guierte französische Familien gekommen waren. Ich fahre heute nach
Belloy, dem Schloß eines Herrn von Morgan, der uns sehr freundlich auf-
nimmt.“ Der Zivilkommissar, Graf Karl von Lehndorff, war der älteste von
drei ausgezeichneten Brüdern. Er selbst war Majoratsbesitzer auf Steinort
in Ostpreußen. Sein zweiter Bruder, Heinrich, war der bekannte und hoch-
verdiente langjährige Generaladjutant des Kaisers Wilhelm I. Der dritte
Bruder, Graf Georg, hat sich als Oberlandstallmeister und Leiter des Haupt-
gestüts Graditz Verdienste um die deutsche Pferdezucht erworben. Ich
hatte ihn als Knabe bei einem Flachrennen in Mecklenburg im Sattel er-
blickt. Ich habe ihn als Reichskanzler oft wiedergesehen, und er ist kurz
vor Beginn des Weltkrieges gestorben, hat also wenigstens nicht den
Schmerz gehabt, den Zusammenbruch des alten glücklichen Deutschland
zu erleben. Graf Karl Lehndorff sagte zu meinem Vater, als dieser ihm nach
der Herstellung des Friedens im Frühjahr 1871 seine innige Freude darüber
ausdrückte, daß der Krieg nunmehr zu Ende sei: „Im Interesse Ihrer Söhne
sollten Sie den Eintritt des Friedens eher bedauern. Hätte der Krieg noch
zehn Jahre gedauert, so wären sie beide als Generäle zurückgekommen.“
Die Pariser Commune war von kleineren Aufständen in vielen französi-
schen Städten begleitet, insbesondere in Marseille, Saint-Etienne, Toulouse.
Lehndorff