Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Graf Rechberg 
10 BISMARCK ÜBER ANNEXIONEN 
Höhe ihres guten Willens. Nun bedeutet aber nach Schopenhauer der gute 
Wille, der in der Moral alles ist, in der Kunst gar nichts, weil es da allein 
auf das Können ankommt. Die Politik steht nur in losem Zusammenhang 
mit der Moral. Sie ist auch keine Wissenschaft, sie ist eine Kunst. Die 
führenden Geister der Paulskirche scheiterten an ihrer Unterschätzung der 
Macht. Sie erkannten nicht, daß, wer regieren, wer führen will, ein Macht- 
instrument in der Hand haben muß, um als Ultima ratio die Gewalt an- 
wenden zu können. Das wußte der preußische Bundestagsgesandte, der in 
den fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts mit meinem Vater 
zwischen dem Taunus- und dem Allerheiligentor auf und ab wandelte, als 
er 1862 in Berlin an das Steuerruder des preußischen Staates gestellt wurde. 
Noch eine Äußerung des Bundestagsgesandten von Bismarck ist mir er- 
innerlich. Als er meinem Vater auseinandersetzte, daß Preußen irgendwie 
den Zusammenhang zwischen seinen östlichen und seinen westlichen Pro- 
vinzen herstellen müsse, erklärte sich mein Vater aus Gründen der Legiti- 
mität wie der Moral und des Rechts gegen unrechtmäßige Annexionen. 
Bismarck erwiderte achselzuckend: „Friedrich der Große hat Schlesien ge- 
stohlen und ist doch einer der größten Männer aller Zeiten.“ Darin lag aller- 
dings ein gewisser Widerspruch zu seiner vorher erwähnten Zustimmung 
zur Anschauung der Herrnhuter. Wo ist aber der Mensch, in dessen Innerm 
keine Gegensätze sich bekämpfen, keine Widersprüche sich regen? Ich 
möchte sogar behaupten, daß gerade bedeutende Menschen, und die 
Größten am allermeisten, innere Widersprüche und Gegensätze zu über- 
brücken und auszugleichen haben. 
Herr von Bismarck war nicht der einzige Kollege, mit dem mein Vater 
lustwandelte. Oft begegneten wir auch dem österreichischen Gesandten, 
dem Präsidialgesandten, wie man damals sagte. Graf Bernhard von Rech- 
berg und Rothenlöwen war äußerlich sehr verschieden von Herrn von Bis- 
marck. Er war von kleiner Figur, fast zierlich, glatt rasiert, während für 
den preußischen Gesandten sein buschiger Schnurrbart charakteristisch 
war. Rechberg trug auch eine Brille, mit der man sich Bismarck gar nicht 
hätte vorstellen können. Rechberg ähnelte überhaupt in keiner Weise dem 
„Junker keck, der Kaufleut’ und der Wandrer Schreck“ in Uhlands Ge- 
dicht. Er sah aus wie ein Gelehrter, entstammte aber einem reichsunmittel- 
baren Geschlecht, das im schwäbischen Grafenkollegium gesessen hatte. 
Obgleich Rechberg für hitzig und bochmütig galt und Bismarck nicht 
gerade ein sanltes Lämmchen war, kamen beide im großen und ganzen 
persönlich gut miteinander aus. Jedenfalls stand Bismarck zu Rechberg in 
einem weit besseren Verhältnis als zu dessen Vorgänger, dem hochkulti- 
vierten, mehr liberal orientierten Prokesch-Osten. Rechberg ist erst 1899 
gestorben, dreiundneunzig Jalıre alt. Er hat noch den Sturz, den Tod seines
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.