Verfahren
Bazeilles
256 DAS ERWACHEN IM COUPE
sehr heiß. Unsere Direktion ist Mezieres, Sedan, Thionville, Trier. Höchst-
wahrscheinlich sollen wir bis Bonn marschieren. Recht schade ist, daß wir
auf diese Weise von dem Einzug in Berlin nichts zu sehen kriegen. Aber
was hilft das Klagen !“
Ich hatte mich wohl gehütet, meinen Eltern von dem Abschied zu
schreiben, den ich von Mrs. Z. nahm und der, wenigstens von ihrer Seite,
tränenreich war. Ich schrieb auch nicht, daß es mir bei meiner Eisenbahn-
fahrt von Amiens nach Saint-Quentin beinahe übel ergangen wäre. Viel-
leicht durch den in der Nacht vorher erfolgten Abschied von der liebens-
würdigen Mrs. Z. angegriffen, verfiel ich in der Eisenbahn in einen so tiefen
Schlaf, daß ich in Saint-Quentin versäumte auszusteigen. Inzwischen waren
in Saint-Quentin drei oder vier französische Reisende in mein Coupe ein-
gestiegen, die mich nicht gerade freundlich ansahen, als ich endlich er-
wachte. Sie machten mich darauf aufmerksam, daß ich mich auf dem von
unseren Truppen geräumten französischen Boden befände, den preußische
Offiziere, noch dazu in Uniform, nicht betreten dürften. Ich erwiderte höf-
lich, aber ernst, daß die noch in Amiens stehenden preußischen Truppen
von meiner Abreise wüßten. Wenn mir während meiner Fahrt irgend etwas
zustieße, würde zweifellos nicht nur von der französischen Regierung und
der Eisenbahnverwaltung Genugtuung verlangt werden, sondern auch die
Reisenden dieses Zuges würden ernsten Unannehmlichkeiten ausgesetzt
sein. Nach dieser kategorischen Erklärung entspann sich ein freundliches
Gespräch, das mit dem allseitigen Wunsche schloß, es möchte so bald nicht
wieder zum Kriege kommen. Auf der nächsten größeren Station, wo das
Publikum auf dem Bahnhof mich mit Hallo und Pfeifen empfing, sprach
ich ebenso freundlich-ernst mit dem Bahnhofschef, der sofort die Situation
begriff und mich in seinem Zimmer gegen jede Belästigung schützte, bis er
mich in einem nach Saint-Quentin zurückfahrenden Zuge in einem leeren
Coupe I. Klasse unter der besonderen Obhut der Kondukteure des Zuges
nach Saint-Quentin zurückexpedierte.
Am 19. Juni schrieb ich aus Bazeilles bei Montmedy an meine Eltern:
„Sehr wünsche ich, Mama und meine kleinen Brüder haben die Einzugs-
feierlichkeiten in Berlin recht genießen können. Wir hatten am 16. pracht-
volles Wetter, hoffentlich war es in Berlin ebenso. Nachrichten haben wir
davon noch nicht, doch wird es gewiß herrlich gewesen sein. Daß wir bei
all unserem Patriotismus nichts davon zu sehen kriegen, ist eigentlich
niederträchtig. Es scheint, daß wir bis Bonn marschieren sollen, bis Trier
ist die Marschroute schon ausgegeben. Die Meuse, von waldigen Höhen ein-
geschlossen, erinnert an norddeutsche Gebirgslandschaften. Vor einem Jahr
war in der ‚Independance Belge“ als Feuilleton ein Roman von G. Sand,
der in dieser Gegend spielte und in dem diese Maaslandschaften, in denen