EINE KLEINE UNIVERSITÄT 965
gefüllt haben würde. So mußte er sich darauf beschränken, als einflußreiches
Mitglied der Zentrumspartei dem Lande, der Regierung und mir, seinem
alten Freunde, treffliche Dienste zu leisten, speziell als Referent für den
Etat des Auswärtigen Amtes.
Bei einem Spazierritt, den ich mit Arenberg im Herbst 1871 unternahm,
erzählte er mir, daß er die Absicht habe, einen mehrmonatlichen Urlaub zu
nehmen, um sein Referendar-Examen zu machen. Nachdem er sechs
Semester studiert, und fleißig studiert habe, wolle er diesen Abschluß
erreichen. Er gedenke einen Ort aufzusuchen, wo möglichst wenige weltliche
Zerstreuungen und gesellschaftliche Verpflichtungen ihn vom Arbeiten
abhielten. Zu diesem Zwecke wolle er nach Greifswald gehen. Als ich
einwarf, daß Greifswald das langweiligste Nest sei, das man sich denken
könne, erwiderte er: „Das ist gerade, was ich suche. Komm doch mit mir
nach Greifswald! Du sollst ja auch den Referendar machen.“ Ich bemerke
übrigens ausdrücklich, daß mein absprechendes Urteil über Greifswald
vorschnell und ungerecht war. Ich habe mich bald nachher davon überzeugt,
daß Greifswald, in freundlicher Gegend gelegen, eine jener typischen kleinen
Universitätsstädte war, in denen stille und fruchtbare Geistesarbeit blüht,
eine Stadt, in der ich tüchtige und geistvolle Männer kennenlernen sollte.
Ich machte noch einen letzten Versuch, ganz um das juristische Examen
herumzukommen, zumal ich große Freude an der im Oktober begonnenen
Offiziersreitstunde hatte. Wir ritten auf englischem Sattel ohne Bügel. Ich
fand die Erfahrung bestätigt, die ich schon als Gymnasiast in Neustrelitz
gemacht hatte, daß nichts einen festen Sitz und eine leichte Hand, die beiden
Voraussetzungen guten Reitens, mehr fördert als Reiten auf der Decke
oder, noch besser, auf englischem Sattel ohne Bügel.
Mein Vater blieb unerbittlich, und im November begab ich mich nach
Greifswald. Mein Freund Arenberg war dortschon eingetroffen, in Begleitung
des Arenbergschen Hauskaplans und späteren Domherrn Hartmann, der ihn
erzogen und nach Bonn begleitet hatte. Auch der Kaplan Hartmann war,
wie sein Zögling, ein liebenswerter Mann: kenntnisreich und bescheiden,
streng gegen sich, freundlich und nachsichtig mit anderen. Er hatte mit
seinem Zögling Arenberg zusammen juristische Vorlesungen in Bonn gehört
und sich auf diese Weise zu einem tüchtigen Juristen ausgebildet. Als ich
in Greifswald eintraf, unterzog er mich einer kleinen Prüfung, deren Er-
gebnis ihn entsetzte. „Aber um Gottes willen‘, meinte er, „Sie haben ja
keine Ahnung von allem, wonach man Sie fragen wird! Sie werden
mindestens noch ein Jahr der Vorbereitung brauchen, bevor Sie sich ins
Examen wagen können.“ Ich erwiderte, daß das ausgeschlossen sei, da ich
meinem Vater versprochen hätte, mein Examen noch im Laufe des Winters
abzulegen, und zwar ein gutes Examen.
Nach
Greifswald