Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

IM JURISTISCHEN LABYRINTH 207 
Zwischenfall gemacht. Ich nahm, nachdem ich mich einige Tage ausgeruht 
hatte, meine Arbeit wieder auf, gönnte mir aber seitdem wöchentlich zwei 
freie Abende, an denen ich bei befreundeten Professoren vorsprach, bis- 
weilen auch mit den charmanten Offizieren des Jäger-Bataillons Billard 
spielte. Bei dem Pommerschen Jäger-Bataillon Nr. 2 in Greifswald hatte 
einst Fürst Bismarck seine Militärpflicht als Einjährig-Freiwilliger ab- 
solviert, während er gleichzeitig an der landwirtschaftlichen Akademie zu 
Eldena studierte. 
Zum Examen bereitete ich mich nach eigener Methode vor. Als Ariadne- 
faden in dem juristischen Labyrinth diente mir ein Extrakt der Rechts- 
wissenschaft, dessen Verfasser, wenn ich mich recht erinnere, Bender hieß. 
Durch eigenes Nachdenken suchte ich an der Hand dieses schmalen 
Bändchens meinen Weg durch das Gestrüpp der Gesetze und Rechte, die 
sich, wie der lose Mephisto behauptet, von Geschlecht zu Geschlechte wie 
eine ew’ge Krankheit fortschleppen. Wenn ich allein nicht weiterkonnte, 
suchte und fand ich Belehrung bei dem gütigen Kaplan Hartmann. Von 
den Professoren der Universität stehen mir noch heute zwei hervorragende 
Dozenten in bester Erinnerung. Der Philologe Wilhelm Studemund war 
ein Mann von ungewöhnlicher Frische und sprudelndem Geist. Wenn er 
das Wort ergriff, schwieg alles, an der Table d’höte wie bei einem Abend- 
kränzchen, um ihm zu lauschen. Er ist später von Greifswald nach Straß- 
burg und von dort nach Breslau berufen worden, wo er 1889 starb, kaum 
sechsundvierzig Jahre alt, zu früh für die Wissenschaft, um die er sich 
durch die Entzifferung von Palimpsesten des Gajus und des Plautus 
verdient gemacht hat. Einen noch stärkeren Eindruck machte mir Pro- 
fessor Ernst Immanuel Bekker. Als ich ihn in Greifswald kennenlernte, 
war er schon über vierzig Jahre alt. Er ist erst ein halbes Jahrhundert 
später, im Sommer 1916, hochbejahrt aus dem Leben geschieden. In einem 
Distichenpoem rief ihm Theodor Mommsen zu seinem siebzigsten Ge 
burtstag zu: „Der Epaulett und Talar verstanden mit Ehren zu tragen; 
welcher kundig des Rechts dennoch Lateinisch versteht; tapfer und klug 
und beredt, aber den Freunden ein Freund.“ Ernst Immanuel Bekker 
blickte schon 1872 auf ein bewegtes und interessantes Leben zurück. Sohn 
des Philologen August Immanuel Bekker, der unter Friedrich dem Großen 
geboren, erst wenige Tage vor dem Einzug nach dem Siebziger Kriege 
starb, war er, nachdem er bei Karl Adolph Vangerow Pandekten gehört 
hatte, Linienoffizier geworden und erlebte als Adjutant eines Ersatz- 
Bataillons die Mobilmachung im Jahre 1850. Er pflegte, wenn er davon 
sprach, hinzuzufügen, daß die Zerfahrenheit und Schwäche der preußischen 
Politik jener Tage seine Dankbarkeit und Verehrung für Bismarck, „wenn 
möglich“, noch erhöhe. Gern hob er dabei hervor, daß die Ehr- und Standes- 
Professoren
	        
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