IM JURISTISCHEN LABYRINTH 207
Zwischenfall gemacht. Ich nahm, nachdem ich mich einige Tage ausgeruht
hatte, meine Arbeit wieder auf, gönnte mir aber seitdem wöchentlich zwei
freie Abende, an denen ich bei befreundeten Professoren vorsprach, bis-
weilen auch mit den charmanten Offizieren des Jäger-Bataillons Billard
spielte. Bei dem Pommerschen Jäger-Bataillon Nr. 2 in Greifswald hatte
einst Fürst Bismarck seine Militärpflicht als Einjährig-Freiwilliger ab-
solviert, während er gleichzeitig an der landwirtschaftlichen Akademie zu
Eldena studierte.
Zum Examen bereitete ich mich nach eigener Methode vor. Als Ariadne-
faden in dem juristischen Labyrinth diente mir ein Extrakt der Rechts-
wissenschaft, dessen Verfasser, wenn ich mich recht erinnere, Bender hieß.
Durch eigenes Nachdenken suchte ich an der Hand dieses schmalen
Bändchens meinen Weg durch das Gestrüpp der Gesetze und Rechte, die
sich, wie der lose Mephisto behauptet, von Geschlecht zu Geschlechte wie
eine ew’ge Krankheit fortschleppen. Wenn ich allein nicht weiterkonnte,
suchte und fand ich Belehrung bei dem gütigen Kaplan Hartmann. Von
den Professoren der Universität stehen mir noch heute zwei hervorragende
Dozenten in bester Erinnerung. Der Philologe Wilhelm Studemund war
ein Mann von ungewöhnlicher Frische und sprudelndem Geist. Wenn er
das Wort ergriff, schwieg alles, an der Table d’höte wie bei einem Abend-
kränzchen, um ihm zu lauschen. Er ist später von Greifswald nach Straß-
burg und von dort nach Breslau berufen worden, wo er 1889 starb, kaum
sechsundvierzig Jahre alt, zu früh für die Wissenschaft, um die er sich
durch die Entzifferung von Palimpsesten des Gajus und des Plautus
verdient gemacht hat. Einen noch stärkeren Eindruck machte mir Pro-
fessor Ernst Immanuel Bekker. Als ich ihn in Greifswald kennenlernte,
war er schon über vierzig Jahre alt. Er ist erst ein halbes Jahrhundert
später, im Sommer 1916, hochbejahrt aus dem Leben geschieden. In einem
Distichenpoem rief ihm Theodor Mommsen zu seinem siebzigsten Ge
burtstag zu: „Der Epaulett und Talar verstanden mit Ehren zu tragen;
welcher kundig des Rechts dennoch Lateinisch versteht; tapfer und klug
und beredt, aber den Freunden ein Freund.“ Ernst Immanuel Bekker
blickte schon 1872 auf ein bewegtes und interessantes Leben zurück. Sohn
des Philologen August Immanuel Bekker, der unter Friedrich dem Großen
geboren, erst wenige Tage vor dem Einzug nach dem Siebziger Kriege
starb, war er, nachdem er bei Karl Adolph Vangerow Pandekten gehört
hatte, Linienoffizier geworden und erlebte als Adjutant eines Ersatz-
Bataillons die Mobilmachung im Jahre 1850. Er pflegte, wenn er davon
sprach, hinzuzufügen, daß die Zerfahrenheit und Schwäche der preußischen
Politik jener Tage seine Dankbarkeit und Verehrung für Bismarck, „wenn
möglich“, noch erhöhe. Gern hob er dabei hervor, daß die Ehr- und Standes-
Professoren