Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Das Examen 
bestanden 
270 DER REFERENDAR BÜLOW 
Bergen. Er war der Sohn eines Rinderhirten. Er besaß den klaren, nüch- 
ternen, elastischen, realpolitischen Verstand, der die Kurie seit fünfzehn- 
hundert Jahren durch viele Stürme geführt und der auch das moderne 
Italien aufgebaut hat, das unser stolzes Bismarcksches Reich überdauerte. 
Kurd von Schlözer erzählte mir im Januar 1886, er habe, als er 1882 
von Bismarck nach Rom gesandt wurde, um den Frieden mit der Kurie 
anzubahnen, einmal an einem schönen Nachmittag an dem hölzernen Tisch 
einer Österia mit einigen ihm befreundeten Prälaten Vino di Orvieto 
getrunken. Die Prälaten sprühten von Geist und Witz. Da habe er zu ihnen 
gesagt: „Ach, wenn unser Bismarck nur ein einziges Mal in seinem Leben 
mit euch in der römischen Campagna Vino di Orvieto getrunken und 
offenherzig geplaudert hätte, so würde er nicht den Unsinn des Kultur- 
kampfes gemacht haben.“ Die Prälaten lächelten, und der älteste Monsignore 
klopfte Schlözer auf die Schulter mit den Worten: „Questo bravo ministro 
di Prussia non & mica un minchione.“ (Dieser treffliche preußische Ge- 
sandte ist gar nicht so dumm.) Bismarck war noch weniger ein „minchione“ 
als Schlözer, aber er hat meist nur ganz verstanden, was er mit seinen 
eigenen Augen gesehen hatte. Abstrakte Vorstellungen, Erzählungen 
anderer, Lektüre sagten ihm nicht viel. Und dann: Wem gelingt es? Trübe 
Frage, der das Schicksal sich vermummt! Auch die Allergrößten haben 
geirrt, haben schwer geirrt, aber sie unterscheiden sich dadurch von den 
Narren, daß sie nicht im Irrtum verharren, sondern vom Irrtum wieder zur 
Wahrheit reisen, daß sie, um einen Lieblingsausdruck von Bismarck zu 
gebrauchen, „wenden“ können, bevor der Wagen in den Abgrund saust. 
Die Erregung, die der Kulturkampf in das öffentliche Leben Deutsch- 
lands brachte, konnte meinen Freund Arenberg und mich nicht in unserer 
emsigen Vorbereitungsarbeit beirren. Wir taten unser Bestes und gingen 
Mitte März 1872 zusammen ins Examen. Wie fünf Jahre früher beim 
Abiturium in Halle und später bei meinem diplomatischen Examen 
entnahm ich auch dem Verlauf der Greifswalder Prüfung, daß die staat- 
lichen Examina einen sicheren Maßstab für das Wissen und die Kenntnisse 
des Examinanden kaum liefern können. Mein lieber Arenberg war ein 
besserer Jurist als ich. Aber da ich ihm an Schlagfertigkeit, dialektisch 
und eristisch (im Schopenhauerschen Sinne) überlegen war, schnitt ich 
besser ab als er. Meine Prüfung durch Professor E. I. Bekker glich mehr 
einer Disputation als einem Examen. Der große Rechtslehrer, der schon 
meine schriftliche Arbeit über eine Frage des Pfandrechts sehr günstig 
zensiert hatte, stellte beim mündlichen Examen die an mich gerichteten 
Fragen in so geistreicher und dabei so wohlwollender Form, daß es für mich 
nur darauf ankam, die mir zugeworfenen Bälle mit einiger Geistesgegenwart 
aufzufangen. In meinem Zeugnis über das bestandene Examen wurde mir
	        
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