DAS REICHSLAND 285
Ich habe beide, Arnim wie Eulenburg, mehrfach bei Dienstreisen be-
gleitet. Die Bezirkspräsidenten wurden überall in Lothringen nicht nur
korrekt, sondern mit fast demonstrativer Freundlichkeit empfangen. In
allen Dörfern standen die Schulkinder am Eingang des Ortes aufmarschiert
und schrien, immer in dem gleichen Rhythmus: ‚Vive Monsieur le Pre-
sident de la Lorraine!“ Als ich einmal einem Schullehrer mein befriedigtes
Erstaunen über diese loyale Haltung ausdrückte, meinte er ganz harmlos:
„Monsieur, autrefois nous avons crie: ‚Vive Monsieur le Prefet de la
Moselle!‘ Aujourd’hui nous crions: ‚Vive Monsieur le Prösident de la Lor-
raine!‘ Au fond cela revient au m&me. Nous respectons l’autorite.‘“ Der
französische Präfekt hat unter dem Empire wie unter der Republik immer
regiert, d. h. geführt, mit fester und, wo es sein mußte, mit harter Hand.
Gegenüber politischer Opposition verstand er keinen Spaß und griff nötigen-
falls kräftig zu. Aber seine Formen waren immer weltmännisch, „une main
de fer sous un gant de velours“, wie es der große Napoleon empfahl.
Verwaltet wurde das Reichsland in deutscher Zeit zweifellos besser als
vorher und nachher in französischer. Die Fehler, die im Reichsland von
deutscher Seite begangen wurden, erfolgten in der Zentrale, und zwar
sowohl in Straßburg wie in Berlin. In Straßburg haben der Wirkliche Ge-
heime Rat von Möller, der Fürst Chlodwig Hohenlohe und der Fürst Karl
Wedel ihre Sache am besten gemacht. Der im übrigen hochbegabte, in
anderen Stellungen hervorragend bewährte Feldmarschall Manteuffel,
der unbedeutende Fürst Hermann von Hohenlohe-Langenburg und der
nicht viel bedeutendere Herr von Dallwitz schnitten schlecht ab. Hat Fürst
Bismarck gut daran getan, nachdem wir die uns in der Zeit unseres tiefsten
Verfalls von den Franzosen geraubten westlichen Provinzen zurück-
genommen hatten, Elsaß-Lothringen als Reichsland zu konstituieren? Ich
möchte nicht in den Fehler der ,„‚vaticinatio ex eventu“ verfallen. Wer wie
ich nach dem Weltkrieg oft im Ausland geweilt und viel mit Ausländern
verkehrt hat, weiß, welchen Spott uns solches Besserwissen ex post bei
klügeren Fremden eingetragen hat, wie lächerlich es uns macht. Über
weltfremde und aufgeblasene „Historiker“ vom Schlage Hans Delbrücks,
die mit einem nur bei uns erlaubten Doktrinarismus breit und schwer-
fällig auseinandersetzen: wenn bei uns so operiert worden wäre, wie dies
nachträglich in seinem Studierzimmer, die Brille auf der Nase und die
lange Pfeife im Mund, der Herr Professor X. oder der Herr Doktor Y.
sich ausdenken, wäre alles besser gekommen, lacht das Ausland. Und am
meisten lacht, wer den Herrn Professor X. und den Herrn Doktor Y. kennt,
die in der Praxis sofort versagen würden, die weder die Nerven, noch den
Kopf, noch die Hand hätten, um auch nur den bescheidensten politischen
Plan durchzuführen, den einfachsten diplomatischen Auftrag zu erledigen.
Elsaß-
Lothringen