Kur in
Reichenhall
286 ALEMANNIEN
Und doch hat Schiller gesagt, daß die Gedanken leicht beieinander wohnen,
die Sachen aber sich hart im Raume stoßen. Und doch hat uns Heinrich
Heine die reizende Anekdote von den drei Malern erzählt, die ein Kamel
malen wollten. Der Engländer reist nach Afrika, um das Schiff der Wüste
an Ort und Stelle abzukonterfeien. Der Franzose fährt nach dem Zoologi-
schen Garten, um dort ein Modell zu finden. Der Deutsche konstruiert das
Kamel aus der Tiefe seines sittlichen Bewußtseins.
Ich will weder diesem deutschen Maler gleichen, noch auch meinerseits
in die Plattheit der Divinatio ex post verfallen, darf aber wohl folgendes
sagen: Als Fürst Bismarck das Reichsland ins Leben rief, überschätzte er,
wie auch bei einigen anderen Gelegenheiten, die politischen Fähigkeiten der
Deutschen und die Stärke ihres Nationalgefühls. Er rechnete nicht damit,
daß die deutschen Parteien, statt Hand in Hand ihr gemeinsames Be-
streben darauf zu richten, uns Elsaß und Lothringen geistig und seelisch
wieder zu assimilieren, nur darauf bedacht sein würden, in gegenseitigem
Kampf und mit allseitiger Gleichgültigkeit für nationale Gesichtspunkte,
jede für sich, in den neuen Gebieten möglichst gute Geschäfte zu machen.
Es gelang auch den beiden stärksten deutschen Parteien, dem Zentrum und
den Sozialisten, in den Reichslanden eine gewisse Anzahl Sitze für sich zu
erobern. Als die Franzosen an den Rhein zurückkehrten, wurden in den
drei zum Leben erweckten Departements des Haut-Rhin, des Bas-Rhin
und der Moselle der Gesichtspunkt der französischen Einheit, der ‚France
une et indivisible‘, in den Vordergrund gestellt. Alles in allem wären wir
vielleicht doch weitergekommen, wenn unser großer Steuermann, wie die
gute und liebe Fürstin Johanna Bismarck ihren Gatten nannte, aus Loth-
ringen eine preußische Provinz gemacht hätte mit Metz als Hauptstadt,
unter Ängliederung des Regierungsbezirkes Trier, das Elsaß aber mit Baden
zu einem Königreich Alemannien vereint hätte, unter Verlegung der Haupt-
stadt und Residenz von Karlsruhe nach Straßburg, unter gleichzeitiger Er-
leichterung und Pflege der Verbindungen und des Verkehrs zwischen Karls-
ruhe und dem Hagenauerland, Straßburg und Baden-Baden, Wildbad und
Stuttgart, zwischen Kolmar und Freiburg, Mülhausen und dem südlichen
Baden.
Als mir im Sommer 1873 mein Hals wieder zu schaffen machte, suchte
ich den Molkenkurort Heiden im Schweizer Kanton Appenzell-Außer-
rhoden auf. Die Lage von Heiden ist reizend, der Blick auf das Schwäbische
Meer, den Bodensee, herrlich. Aber ich langweilte mich dort so sehr, daß
ich beschloß, nach dem bayrischen Bade Reichenhall überzusiedeln, wo ich,
gleichfalls in prächtiger Umgebung, im Achselmannsteinbade Molken trank
und Sole badete. Ich fand dort außer meinem Regimentskameraden
Nimptsch und seiner Mutter und seinen liebenswürdigen Schwestern einen