RATSCHLÄGE DES VATERS 289
drei gute Ratschläge: 1. Mich baldmöglichst in das Kasino aufnehmen zu
lassen. 2. Im Kasino und überhaupt in Berlin wenig zu reden und nie
Fragen zu stellen. Fragen setze Mißdeutungen aus. 3. Fleißig in Gesell-
schaft zu gehen und viel zu tanzen, das mache beliebt.
Ernster waren die Regeln, die mir mein guter und weiser Vater auf den
Weg mitgab. Ich lasse sie folgen, denn wenn die Verhältnisse sich auch
ändern, so bleibt doch der Mensch im Kern derselbe. Auch die diplo-
matischen Anfänger im besiegten, unglücklichen und wieder aufstrebenden
Deutschland können aus diesen Winken mancherlei lernen:
Strengste, peinlichste Wahrhaftigkeit in allem, was berichtet wird. Nur
melden, was sicher ist. Nichts berichten, was sich später als unbegründet
herausstellen könnte. Nie flunkern. Kein Klatsch, kein Aufbauschen noch
Übertreiben, keine zu lebhaften Farben.
Ne pas forcer la note. Besondere Gewissenhaftigkeit, was Zahlen an-
geht. Point de fantaisie. Die Ereignisse nicht greller malen, als sie sich der
nüchternen Beobachtung darstellen.
Vorsicht im Urteil. Selten prophezeien, jedenfalls nicht in Berichten,
allenfalls in Privatbriefen. Amtliche Propheten, Sterndeuter und Wahr-
sager, Haruspices und Auguren gibt es nicht mehr. Davon abgesehen:
Tout arrive, on ne peut jurer de rien, tout change.
Kompromittiere in deinen Berichten nicht andere. Es ist nicht an-
ständig und nicht klug. Schreibe nicht ab irato. Fürst Bismarck pflegt zu
sagen, Entrüstung und Ranküne seien keine diplomatischen Begriffe. Der
Diplomat sei weder ein Bußprediger, noch ein Strafrichter, noch ein Philo-
soph. Es müsse ihm nur und ausschließlich auf das wirkliche, nackte Inter-
esse seines Landes ankommen.
Vorsicht mit Telegrammen. Große Vorsicht mit dem Chiffre, der nicht
gedankenlos in die Hand genommen werden darf.
Kritisiere in Berichten nicht zu scharf. La critique est aisee et l’art est
difficile. Außerdem kann jeder Bericht durchsickern.
Ruhig und nüchtern sein. Ne prends rien au tragique, tout au serieux,
wie Thiers zu sagen pflegt. Und vor allem: Take every thing cooly! Aber
sei toujours en vedette, nach allen Seiten aufpassen!
Ruhe, Gleichgewicht, Selbstbeherrschung. Keep up your nerves, Sir!
Sich weder von Sympathien noch Antipathien bestimmen lassen.
Nicht heikle Wünsche fremder Regierungen nach Berlin melden. Über-
lasse es der fremden Regierung, solche Anliegen durch ihre eigenen Ver-
treter in Berlin vorbringen zu lassen, wo sie eventuell leichter abzulehnen
sind.
Ohne Ermächtigung des Auswärtigen Amtes nichts unsere Regierung
Kompromittierendes von sich geben. Remember: Benedettis Reinfall
19 Bülow IV