Lothar Bucher
292 DER VERKEHR MITS.D.
Graf Paul Hatzfeldt kam mir mit Liebenswürdigkeit entgegen. Auch ihm
verdanke ich manch nützlichen Wink, alle zugeschnitten auf ,,S. D.“ (Seine
Durchlaucht), wie Bismarck im Auswärtigen Amt genannt wurde. Ich
notierte mir diese Winke auf einem inzwischen vergilbten Blatt, das ich
jetzt unter meinen Papieren fand und das ich wiedergebe, weil die darin
erteilten Ratschläge für beide, für Otto Bismarck wie für Paul Hatzfeldt,
bezeichnend sind.
1. Nie in einer Richtung zu weit gehen, sich jedenfalls nie emballieren,
womöglich um Dreivierteltakt zurückbleiben. S. D. ist ondoyant et divers.
Er liebt nicht die Hunde, die so weit über das Ziel schießen, daß sıe keine
andere Fährte mehr aufnehmen können.
2. In Berichten nicht zuviel „ich“ setzen. S. D. merkt es von selbst, wenn
man eine Sache gut gefingert hat.
3. Möglichst wenig bei S. D. anfragen. Besser schreiben oder telegra-
phieren, man werde so oder so handeln, wenn nicht Contreordre erfolge.
4. Am Schluß des Berichtes andeuten, daß man im übrigen seine eigene
Appreziation der höheren Weisheit S. D. unterordne.
5. Alles geht ruhiger, als der junge Anfänger glaubt. Kleine Wider-
wärtigkeiten, unvermeidlichen Ärger mit der „Wurschtigkeit‘‘ nehmen, die
S.D. selbst empfiehlt. S. D. liebt nicht aufgeregte Leute, noch weniger
Durchgänger. Ruhe, eine gewisse Pomadigkeit, ja Lässigkeit gefallen ihm.
6. Als jüngerer Mann im Verkehr mit S.D. nie vergessen, daß er ein
strenger, bisweilen grimmiger Pater familias ist. Am besten kommt der
Weltmann mit ihm aus, schlecht der „‚Kreisrichter“ und am allerschlech-
testen der „Professor“.
Graf Paul Hatzfeldt hatte seine ersten starken politischen Eindrücke im
Verkehr mit dem langjährigen Liebhaber seiner Mutter, dem geistvollen
Ferdinand Lassalle, erhalten. Es ist eigentümlich, daß ein anderer, auch
sehr bedeutender Mitarbeiter von Bismarck, der Geheime Legationsrat
Lothar Bucher, ein intimer Freund desselben Ferdinand Lassalle gewesen
war. Bucher hatte sich 1848 als Mitglied der preußischen Nationalversamm-
lung der radikalen Linken angeschlossen und mußte, da er die Opposition
bis zur Steuerverweigerung trieb, 1849 nach dem Siege der Reaktion nach
London fliehen, wo er mit Karl Marx und Mazzini, mit Friedrich Engels
und Auguste Ledru-Rollin, dem Führer der französischen Sozialisten bei
dem Pariser Juni-Aufstand von 1848, und manchen anderen Koryphäen
der Revolution in regen Verkehr trat. Auch Lothar Bucher zeigte mir
freundliches Entgegenkommen. Er sprach mir gern von der Zeit seines
Londoner Exils. Er erklärte Karl Marx, den Verfasser des „Kommunisti-
schen Manifestes‘, nicht allein für einen scharfen und tiefen Denker, sondern