Wilhelm-
straße 76
294, BUCHER UND DER FÜRST
Als Fürst Bismarck stürzte, wandte sich Paul Hatzfeldt von dem Gefallenen
ab, nicht mit geschmackloser Eile, noch mit Übertreibung, aber allmählich
und kühl, obwohl Bismarck ihn einige Jahre vor seinem Sturz als das
beste Pferd in seinem Stall bezeichnet hatte und ihn dienstlich immer be-
vorzugte.
Lothar Bucher hatte nicht lange vor der Entlassung des Fürsten Bis-
marck seinen Abschied als Vortragender Rat im Auswärtigen Amt ge-
nommen, da sein Feind Holstein den von ihm damals ganz beherrschten
Staatssekretär Graf Herbert Bismarck gegen Bucher aufgehetzt hatte
und dieser sich von einem so viel jüngeren Vorgesetzten wie Herbert
Bismarck nicht schlecht behandeln lassen mochte. Als Bismarck sich als
entamteter und verfemter Kanzler nach Friedrichsruli zurückgezogen hatte,
stellte sich ihm Lothar Bucher freiwillig zur Verfügung und hat bekanntlich
seinem großen Chef bei der Abfassung der „Gedanken und Erinnerungen“
zur Seite gestanden. Für künftige Diplomaten füge ich endlich eine Lehre
bei, die mir Bucher für die diplomatische Berichterstattung gab: „Der
richtige Maßstab für Beurteilung und Berichterstattung bleibt immer der-
selbe. Facts, Sir, facts. Die konkrete Äußerung irgendeines leading man,
Diplomaten, Deputierten oder Finanziers über einen bestimmten Punkt
wiegt mehr als ein noch so hervorragender Situationsbericht. Unterdrücken
Sie nicht aus Bescheidenheit Ihr eigenes Urteil. Lassen Sie es am Schlusse
durchblicken.““
Das Haus, in dem ich in Berlin arbeitete, Wilhelmstraße 76, war durch
mancherlei Erinnerungen mit meinen Vorfahren verknüpft. Dänischer Ge-
sandter in Berlin war 1818 Graf Christian Günther Bernstorfl, der mit einer
Tante meines Vaters, der Gräfin Elise Dernath, vermählt war und von 1818
bis 1832 preußischer Minister des Äußern gewesen ist. Er vertrat als solcher
Preußen bei den Kongressen von Aachen, Verona, Karlsbad, Troppau und
Laibach während der Glanzzeit der Heiligen Allianz und des Fürsten Cle-
mens Metternich. Sein Übertritt aus dem dänischen in den preußischen
Dienst war charakteristisch für die ganz alte Zeit. Sein ruhiges Wesen, sein
sicheres Auftreten, sein großer Takt waren dem König Friedrich Wil-
helm III. von Preußen angenehm aufgefallen. Eines Tages ließ er den däni-
schen Gesandten zu sich bitten und frug ihn, ob er die Leitung des preu-
Bischen Departements für die Auswärtigen Angelegenheiten unter dem all-
mählich älter und unterstützungsbedürftig werdenden Staatskanzler Fürst
Hardenberg übernehmen wolle. Graf Bernstorff dankte für diesen Beweis
gnädigen Vertrauens, wies aber darauf hin, daß er in dänischen Diensten
stehe. Lächelnd zog Friedrich Wilhelm III. einen Brief des Königs Fried-
rich VI. von Dänemark aus der Tasche, in dem ihm dieser schrieb: Seinem
teuren Bruder und Freund, dem König von Preußen, seinen vortrefllichen