296 DIE SPHINXE
Saal hatte eine kastenförmig abgeteilte Decke im italienischen Geschmack
und dunkelgelbe Wände. Auf den Wänden waren Tänzerinnen. dargestellt.
Die Sage ging, daß sie eine Anspielung auf die berühmte und vielgefeierte
Tänzerin Barberina seien, die, nachdem sie mit ihrer Schönheit und ihrer
Kunst das Berlin des achtzehnten Jahrhunderts bezaubert hatte, den Sohn
eines großen Juristen, des Präsidenten von Cocceji, heiratete, der 1750 für sie
das Haus kaufte, dem einmal Bismarck seinen welthistorischen Stempel
aufdrücken sollte. Auch der Name Bismarck war schon einmal mit diesem
Haus in Verbindung gekommen. Die Barberina, mit ihrem Mädchennamen
Barbara Campanini, verkaufte nach dem Ableben ihres Gemahls das ihr
von ihm geschenkte Haus an den Kriegsminister von Eickstedt. Nach
dessen Tode übernahm es seine Tochter, die Frau Staatsminister
von Decken, verwitwete Schloßhauptmann von Bismarck. Die beiden
Sphinxe, die den Eingang der Treppe des historischen Hauses bewachen,
stammen aus der Zeit des russischen Gesandten Alopäus, also aus dem Be-
ginn des neunzehnten Jahrhunderts, und sind ein Werk des Bildhauers
Pfeffer.
Mein Vater erzählte mir gelegentlich, daß er in demselben Zimmer
arbeite, das ein halbes Jahrhundert früher seinem Onkel Bernstorff als
Büro gedient habe. Er wies dabei auf den Porzellanofen der Stube hin, mit
vier preußischen Adlern an den Ecken. Denselben Ofen habe er schon bei
seinem Besuch vor sich gesehen, den er als Student seinem Oheim gemacht
hatte. Mein Vater lobte die altpreußische Sparsamkeit und Einfachheit. Er
zitierte gern die Antwort, die das Orakel von Delphi einer um die Zukunft
ihrer Stadt besorgten lazedämonischen Deputation gegeben hatte: „Reich-
tum, wahrlich, allein, sonst nichts kann Sparta verderben.“
Graf Christian Günther Bernstorff war nach seinem 1835 erfolgten Tode
auf dem kleinen Friedhof beigesetzt worden, der vor dem Potsdamer
Bahnhof lag, der vor einigen Jahren aufgelassen wurde und dessen sich
ältere Berliner wohl noch erinnern. Wenn ich in meiner Amtszeit von Berlin
nach Potsdam fuhr, erblickte ich den Friedhof, bevor ich den Zug bestieg.
Wenn ich einem schwierigen oder unerquicklichen Vortrag bei Wilhelm II.
entgegenging, so dachte ich an meinen Großoheim, der auch seine „Difh-
kultäten“ und Nöte gehabt hatte und doch jetzt friedlich und ruhig unter
dem grünen Rasen schlummerte, unbekümmert um den Lärm des Pots-
damer Platzes. „Nach neun Uhr ist alles aus“, so hatte Bismarck in seiner
Fankfurter Zeit an seine Frau geschrieben. Die verwitwete Gräfin Elise
Bernstorff, meine Großtante, hat Memoiren hinterlassen, die über die Zeit
von 1789 bis 1835 manches Interessante enthalten*.
* Gräfin Elise von Bernstorff, geborene Gräfin von Dernath. Zweite Auflage. Berlin 1896.
E. S. Mittler und Sohn,