Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

EIN IDEALER MONARCH 303 
solcher Selbstzucht gegeben. Aus dieser Selbstzucht erwuchs seine zarte 
Rücksichtnahme gegen andere, auch gegen die Kleinen, seine Güte, seine 
Geduld. Er war innerlich rührend bescheiden. Als ihm einmal mein Vater, 
dem nach seiner ganzen Art Komplimente fernlagen, seine aufrichtige Be- 
wunderunug für diese Bescheidenheit aussprach, meinte der damals schon 
achtzigjährige Kaiser: „Wie sollte ich nicht bescheiden sein, wo doch im 
Jenseits mein Leibjäger vielleicht einen besseren Platz bekommt als ich, 
wenn er mehr taugt und seine Pflicht besser erfüllt.“ 
Wilhelm I. war ein gütiger, gerechter, feinfühliger und treuer Mensch, 
und darum war er ein idealer Monarch. Das höchste Lob, das ihm gespendet 
werden konnte, war, daß sein genialer Kanzler auf seine Gruft in Fried- 
richsruh nur die Worte setzen ließ: „Ein treuer deutscher Diener Kaiser 
Wilhelms I.“ Wenn ich ihn an seinem Eckfenster stehen sah, dachte ich 
daran, daß an dasselbe Palais, wo ihm jetzt das Volk zujubelte, im Un- 
glücksjahr 1848 freche Hände das Wort „Nationaleigentum‘“ angeschmiert 
hatten und daß weder jene Unverschämtheiten noch diese Huldigungen 
sein inneres Gleichgewicht zu erschüttern vermochten. Nie wird es gelingen, 
sein edles Bild aus den Herzen des deutschen Volkes zu reißen, das nur 
dann die von ihm seit dem Zusammenbruch 1918 und dem daraus hervor- 
gegangenen Umsturz erlittene Not und Schmach verdienen würde, wenn es 
seines alten Kaisers vergäße. 
Als ich Wilhelm I. bei der Defiliercour zum erstenmal vorgestellt wurde, 
als Attach@ des Auswärtigen Amts, sagte er mir mit einem freundlichen 
Blick auf meine Königshusaren-Uniform: „Ihr früherer Kommandeur, der 
General von Lo&, hat mir Gutes von Ihnen erzählt. Hoffentlich machen Sie 
Ihre Sache als Diplomat auch gut. Dazu brauchen Sie ja nur dem Vorbild 
Ihres trefflichen Herrn Vaters zu folgen.“
	        
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