Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE DREI SCHWESTERN 305 
Naivität und französische Gewandtheit war es charakteristisch, daß die 
Kaiserin Augusta sich einen Franzosen als Vorleser aussuchte und damit 
in ihre Intimität zog und daß von französischer Seite für diesen Posten ein 
von dem feurigsten französischen Patrioten, dem Führer der „guerre ä 
outrance“ von 1870/71, von Leon Gambetta, empfohlener junger französi- 
scher Literat vorgeschlagen und von deutscher Seite akzeptiert wurde. Die 
deutsche Republik war übrigens in dieser Richtung noch naiver als das 
weltläufigere Kaiserreich. Erzberger und nach ihm Wirth suchten sich als 
Vertrauten und Ratgeber einen Monsieur Hemmer aus, einen ganz fran- 
zösisch gerichteten Metzer Oberlehrer, der bald nach Beginn des Weltkriegs 
von der deutschen Militärbehörde in Schutzhaft genommen und dessen 
' Vater später in dem inzwischen französisch gewordenen Metz von den Fran- 
zosen als Beamter belassen worden war, während der Sohn als Chef der 
Reichskanzlei die Arcana imperii bearbeitete. Mr. Gerard wurde, nachdem 
er endlich von der Kaiserin Augusta entlassen worden war, in die fran- 
zösische Diplomatie aufgenommen, wo er es bis zum Gesandten gebracht 
hat. Als ich ihm später einmal in Paris begegnete, brachte er von sich aus 
die Rede auf die „Societe de Berlin‘ und gab mir proprio motu sein Ehren- 
wort (foi d’honnete homme), daß er mit diesem Pamphlet nichts zu tun 
habe. Ich habe diesen Schwur nicht au serieux genommen. 
Im Gegensatz zu der in dem französischen Pasquill gegebenen Schil- 
derung waren die „‚trois seurs“‘, die Gräfin Perponcher, Frau von Prillwitz 
und die Gräfin Dankelmann, herzensgute, liebenswürdige Frauen. Sie 
waren Töchter des Grafen Karl Moltke, der, als ich in Neustrelitz zur Schule 
sing, dort als Oberstallmeister fungierte. Es ging in ihrem Salon so ehrbar 
wie möglich zu, womit ich nicht behaupten will, daß dort, um mich berline- 
risch auszudrücken, stark „in Geist gemacht‘ worden sei. Die Unter- 
haltung drehte sich während der Wintersaison um die kleinen Vorgänge des 
Berliner Lebens, wobei gelegentlich auch getratscht und geklatscht worden 
sein mag. Anders im Salon Schleinitz. Hier wurde wirklich ‚in Geist ge- 
macht“. Der Hausherr, Alexander von Schleinitz, blickte auf eine glänzende 
Laufbahn zurück. Er war 1848 ganz kurze Zeit, dann von 1849 bis 1850 
und wieder von 1859 bis 1861 preußischer Minister des Auswärtigen ge- 
wesen. Seitdem war er Minister des Königlichen Hauses und damit in einer 
neuen, einflußreichen Stellung. Er war die „bötenoire‘ des Fürsten Bismarck. 
Der große Staatsmann hat, wie in manchen anderen Fällen, auch hier mit 
Kanonenkugeln nach einem Spatzen geschossen. Daß er Schleinitz nicht 
mochte, war begreiflich. Man konnte sich keine größeren Gegensätze denken. 
Mit seinen bis in sein Alter — er ist erst 1885, achtundsiebzig Jahre alt, 
gestorben — schwarzgefärbten Haaren, mit seiner schlanken Taille, die 
augenscheinlich einem Korsett zu danken war, mit seineın süßlichen 
20 Bülow IV 
Das Haus 
Schleinitz
	        
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