DOROUTHEENSTRASSE 309
fix& votre nationalite.““ Preußin von Geburt, Russin durch ihre Heirat,
hatte sie sich zeitweise mit Berufung darauf, daß ein Teil der Familie Croy
dem belgischen Untertanenverband angehörte, als Belgierin ausgegeben,
war auch einmal Oberhofmeisterin in Stuttgart gewesen, dann aber, da ihr
ältester Bruder im österreichischen Dienst ständ, nach Wien gegangen und
war auch als eifrige Katholikin oft nach Rom ad limina apostolorum ge-
pilgert. Sie schillerte politisch in allen Farben. Bismarck war überzeugt,
daß die Gräfin Luise Benkendorf eine Agentin des St. Petersburger Kabi-
netts sei und vom russischen Ministerium des Äußern die Mittel erhielte,
ein Haus zu machen, um im russischen Sinne auf ihre Gäste zu wirken und
vor allem nach St. Petersburg zu berichten, was sie in ihrem Salon von
ihren Gästen höre. Wenn Bismarck wollte, daß eine Nachricht unauffällig
nach St. Petersburg gelangte, pflegte er einem seiner Sekretäre zu sagen:
„Das können Sie morgen abend im Salon Benkendorf erzählen, dann erfährt
es spätestens in acht Tagen Gortschakow.“
Lieber als den Salon Benkendorf und selbst als den Salon Mimi Schlei-
nitz, lieber als alle anderen von mir frequentierten Salons besuchte ich das
Haus des Professors Rudolf Gneist, nicht nur weil die Verstandes-
schärfe und der glänzende Geist des Hausherrn mich anzogen, sondern auch
weil ich dort interessante Professoren und Abgeordnete traf, die mich durch
ihre Konversation fesselten und von denen ich etwas lernen konnte. Auch
in den Häusern Borsig und Hansemann habe ich gern verkehrt.
Während der Wintersaison pflegte ich am Sonnabend meine Eltern zu
meiner Großtante Gabriele Bülow zu begleiten. Sie verbrachte ihre
Sommer in dem historischen Tegel, im Winter bezog sie in der stillen und
würdigen Dorotheenstraße ein behagliches, aber bescheidenes Appartement.
Es gab bei ihr kein reichbesetztes Buffet wie es in Berlin allmählich Sitte
oder vielmehr Unsitte wurde, sondern nur Tee mit Gebäck zum Einstippen.
Aber große und schöne Erinnerungen umschwebten die alte Dame, die hier
empfing. Sie war die Witwe von Heinrich Bülow. Sie war die Tochter von
Wilhelm, die Nichte von Alexander von Humboldt. Sie war damals schon
über siebzig Jahre alt und ist erst mit fünfundachtzig Jahren heim-
gegangen. Sie war als Kind mit ihren Eltern nach Rom gekommen und
hatte dort Pius VII. und seinen Staatssekretär Consalvi erblickt, Canova
und Thorwaldsen als Hausfreunde begrüßt. Zwei ihrer Geschwister waren
in Rom gestorben, sie ruhen auf dem akatholischen, stimmungsvollen Fried-
hof an der Pyramide des Cestius. Sie hatte in Rom auf derselben Höhe des
Pincio gewohnt, wo ich, ihr Großneffe, hundert Jahre später, nach meinem
Rücktritt, ein schönes Winterheim finden sollte. Sie sprach bis in ihr Alter
gern und geläufig Italienisch und hat, als ich ihr nach meiner Verheiratung
meine Frau vorstellte, diese als Italienerin mit besonderer Herzlichkeit
Gabriele
v. Bülow