312 „GANZ ÜBERFLÜSSIG STEIN“
Todesnachricht erhielt, sagte er, tieferschüttert, zu Alexandervon Humboldt:
„Es ist für meine Regierungszeit ein wahres Unglück. Solche Klarheit der
Ideen, solche Festigkeit, solcher Mut, wenn ein Entschluß gefaßt war und,
Humboldt, Sie müssen es wissen, der einzige Minister, bei dem ich fühlte,
daß er mich verstand, auch wenn er nicht meiner Meinung sein mochte.“
Als am 18. Oktober 1861, am achtundvierzigsten Jahrestage der Völker-
schlacht von Leipzig, die Krönung des Königs Wilhelm I. in Königsberg
stattfand, stand Gabriele von Bülow als Oberhofmeisterin neben der
Königin Augusta. Vier Tage später zog sie mit der Königin in Berlin ein.
Sie war sich der geschichtlichen Bedeutung dieses Tages bewußt. Am Abend
des Einzugstages sagte sie zu ihren Kindern, daß eine neue Zeit beginne,
wie sie hoffe und erwarte, wieder einmal eine wirklich große Zeit. Sie irrte
sich nicht. Auf den wüsten Spuk von 1848, auf die schwächlich tastenden
und mißglückten Versuche der „neuen Ära“, moralische Eroberungen
zu machen, sollte die heroische, die größte Zeit der preußischen und deut-
schen Geschichte folgen. Gabriele von Bülow erlebte noch, daß ihre schöne
Enkelin Therese Lo&@ nach ihrer Verheiratung mit dem Grafen Bertram
Brockdorff zur Oberhofmeisterin der Prinzessin Wilhelm ernannt wurde.
Sie starb am 16. April 1887 und wurde in Tegel beigesetzt, wo sie ihren Platz
zwischen ihrem Mann und Alexander von Humboldt bekam.
Ich aß häufig bei dem Oberstkämmerer, dem Grafen Wilhelm Redern,
Graf der mit einer Tante meiner Mutter, Bertha Jenisch, verheiratet war. Er
Wilhelm war damals schon über siebzig Jahre alt. Sohn eines preußischen Hof-
Redern marschalls, war er in jungen Jahren in den preußischen Hofdienst ein-
getreten. Er hatte Friedrich Wilhelm III. bereits 1822 auf einer Reise nach
Italien begleitet. Er erzählte gern, daß er neben dem König gestanden habe,
als dieser am Posilip vor dem Grabe des Virgil die Nachricht von dem am
26. November 1822 in Genua erfolgten Tode des Staatskanzlers Fürst
Hardenberg erhalten hätte. Atemlos überbrachte ein preußischer Feldjäger
dem König diese Meldung.
Hardenberg war bis zu seinem Tode, also während eines Vierteljahr-
hunderts, in nahen und vertrauten amtlichen und persönlichen Beziehungen
zu seinem Souverän geblieben. Als dieser die Nachricht von dem Tode des
bewährten und hochverdienten Staatsmannes erhielt, meinte er gleich-
mütig: „Ganz überflüssig sein, mir deshalb einen Feldjäger zu schicken.“
Der König sprach gern im Infinitiv. Graf Wilhelm Redern schloß seine Er-
zählung mit den an mich gerichteten Worten: „Mein junger Freund, ver-
gi nie, daß es weiße Menschen gibt, schwarze Menschen und Fürsten.
Die Fürsten sind anders als die anderen Menschen. Das Gefühl der
Dankbarkeit ist bei ihnen meist nur schwach entwickelt.“ Heute,
ein halbes Jahrhundert später, muß ich dieser Beobachtung beipflichten,