Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE LISTE IN DER MALACHITVASE 317 
Erde und ließ sich durch den Wind der Berliner Medisance erst recht 
nicht umwerfen. 
Die Kaiserin Augusta empfing während des Winters einmal in der 
Woche. Das Appartement des historischen Palais, in dem sie empfing, hieß Kaiserin 
die Bonbonniere. Ich habe selten in so vornehmer und zugleich so liebens- Augusta 
würdiger Weise empfangen sehen. Man behauptet, daß die Kaiserin in 
ihrer ersten Jugend von ihrer Obergouvernante häufig in ein Wäldchen 
bei Weimar geführt worden sei, wo sie zur Übung für künftiges Cercle- 
machen an jeden Baum eine nicht allzu banale Frage richten mußte. Goethe, 
der die 1811 geborene Prinzeß Augusta von Sachsen-Weimar in der Wiege 
schlummern sah, würde seine Freude an dem Auftreten der Kaiserin und 
Königin gehabt haben. Der alte Kaiser erschien stets zu den Empfängen 
seiner Gemahlin. Er sprach jeden der Eingeladenen an, immer freundlich, 
oft mit gutmütigem Scherz. Wenn die Gesellschaft von der Kaiserin 
entlassen wurde, führte der Kaiser die älteren Damen am Arm bis an die Tür. 
Als ich einmal während einer Soiree in der Bonbonniere mit meinem 
lieben und langjährigen Freund, dem Prinzen Heinrich XVIII. Reuß, 
allein in einem kleineren Saale des Appartements stand, zog dieser aus einer 
Malachitvase eine Liste der Einzuladenden hervor, die ein unachtsamer 
Lakai dort hatte liegenlassen. Die Kaiserin hatte die Liste mit einem 
Blaustift revidiert. Wir bedauerten, konstatieren zu müssen, daß Ihre 
Majestät die Namen einer Anzahl politischer Anhänger des Reichskanzlers 
und persönlicher Freunde des Bismarckschen Hauses gestrichen hatte. 
Ebenso eine Reihe ostpreußischer, pommerscher und märkischer Adliger, 
auch alles, was Stumm hieß. Dafür hatte sie in die ihr vom Oberhofmarschall 
unterbreitete Liste andere Namen eingetragen, meist Rheinländer, West- 
falen und Schlesier, überwiegend katholische Namen. Neben den Namen 
meines Vaters hatte sie selbst geschrieben: ‚Mit seinen beiden Söhnen 
einzuladen.‘ Die alte Kaiserin schätzte meinen Vater und sagte zu ihrem 
ihr sehr nahe stehenden Kabinettsrat Bodo von dem Knesebeck, meinem 
alten Kriegskameraden: ‚Der Staatsminister von Bülow ist ein politischer 
und wohl noch mehr seit einem Vierteljahrhundert ein persönlicher Freund 
des Fürsten Bismarck. Ich achte diese seine Treue. Aber in seiner feinen 
Art sich zu geben, mit seiner Kultur, im Grunde auch mit seiner Welt- 
anschauung gehört Herr von Bülow in die Goethesche, in meine Zeit.“ Die 
Kaiserin Augusta hat sich immer als Prinzessin von Weimar gefühlt, auch 
nachdem sie im Juni 1829, geleitet von den Segenswünschen des greisen 
Goethe, dem Prinzen Wilhelm von Preußen nach Berlin gefolgt war. 
Seitdem im Februar 1919, in der unglücklichsten Zeit, die seit dem 
grauenvollen Dreißigjährigen Krieg und der napoleonischen Zwingherrschaft Weimur 
das deutsche Volk sah, von gedankenlosen Schwätzern die Schlagworte und Potsdam
	        
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