Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Vatikan und 
Quirinal 
330 DER SOUVERÄNE PAPST 
kühle, vorsichtige Italiener, bildeten sie einen pikanten Kontrast. Während 
Keudell eifrig, wenn auch mit sichtlicher Verlegenheit, häufig stockend, 
mit rotem Kopf, auf den Minister einsprach, zupfte dieser, ohne eine Miene 
zu verziehen, an seinen langen, rotblonden Bartkoteletten. Als der Gesandte 
geendigt hatte, schwieg Visconti mindestens fünf Minuten, was Keudells 
innere Unruhe und Verlegenheit steigerte. Dann erwiderte Visconti, jede 
Silbe betonend: „Ich muß diese unerwartete, mich sehr überraschende 
Eröffnung zunächst dem Ministerpräsidenten Minghetti und Seiner 
Majestät dem König zur Kenntnis bringen. Ich glaube aber schon jetzt 
folgendes sagen zu können: Es ist der italienischen Regierung unmöglich, 
in der gewünschten Richtung einen Druck auf den Papst auszuüben. Das 
stünde in Widerspruch mit den Gefühlen des katholischen italienischen 
Volkes, es stünde aber auch in Widerspruch mit dem von Kammer und 
Senat angenommenen und vom König bestätigten Garantiegesetz vom 
16. Mai 1871, durch das dem Papst nach der Einverleibung Roms in Italien 
seine Stellung als unabhängiger Souverän gesichert wurde. Es heißt 
in Artikel I des Garantiegesetzes: ‚Die Person des Papstes (sommo pontifice) 
ist heilig und unverletzbar.‘ Da aber Italien auf die von ihm hochgeschätz- 
ten guten Beziehungen mit dem Deutschen Reich nicht verzichten will 
und kann, werde ich, wenn der von uns allen bewunderte Fürst Bismarck 
auf seinem Willen besteht, dem Ministerpräsidenten und Seiner Majestät 
dem König Viktor Emanuel vorschlagen, Rom zu räumen und die italie- 
nische Hauptstadt nach Neapel zu verlegen.“ Als Keudell, der sehr wohl 
die Ironie in der Antwort des italienischen Ministers fühlte, andererseits 
aber voraussah, daß das bisherige Ergebnis seiner Demarche den Fürsten 
Bismarck kaum befriedigen würde, insistierte, hüllte Visconti sich in 
Schweigen. Es blieb Keudell nichts übrig, als, von mir gefolgt, den Rückzug 
anzutreten. 
Am nächsten Tage berichtete der Gesandte brieflich dem Kanzler über 
den Verlauf seiner Unterredung mit Visconti. Fürst Bismarck ist auf die 
ganze Sache, während ich in Rom war, nicht wieder zurückgekommen. 
Dagegen wurde das Verhältnis zwischen Papsttum und Italien, wie ich 
vorgreifend hier schon erwähnen möchte, bei der Begegnung, die im 
Oktober 1875 in Mailand zwischen Kaiser Wilhelm und König Viktor 
Emanuel stattfand, von meinem Vater mit Minghetti erörtert. Der Kaiser 
war von meinem Vater begleitet. Fürst Bismarck hatte diesen angewiesen, 
den italienischen Ministerpräsidenten ernstlich vor weiterer Schwäche 
gegenüber dem Papsttum zu warnen. Wenn die italienische Regierung sich 
nicht zu größerer Energie aufraffe, werde der italienische Nationalstaat 
an den Umtrieben und Intrigen der Kurie zugrunde gehen. Als mein Vater 
in Mailand in diesem Sinne mit Minghetti sprach, antwortete ihm der
	        
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