Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

CAVOURS VERMÄCHTNIS 331 
italienische Ministerpräsident: „Wir Italiener haben seit tausend Jahren 
mit dem Papsttum zu tun, und wir kennen es, wenn Sie mir gestatten, 
Ihnen das offen zu sagen, doch besser als die Fremden, selbst als die sehr 
von uns geschätzten und bewunderten Deutschen, die alles von der wissen- 
schaftlichen Erforschung erwarten und glauben, das historische Seminar 
sei der richtige Ort, um große politische Fragen zu lösen. Ich bin überzeugt, 
daß wir mit dem Papsttum in denselben, ganz erträglichen Beziehungen 
stehen werden wie heute, ohne Nachgiebigkeit in politischen Lebensfragen, 
aber unter Schonung aller religiösen Empfindungen und ohne unnötig 
reizende Gewalttätigkeiten, wenn der große Fürst Bismarck längst seine 
Maigesetze revidiert und damit den Rückzug angetreten haben wird.“ 
Als im März 1875 in Berlin in die Presse durchgesickert, vielleicht auch 
lanciert worden war, daß die deutsche Regierung die italienische aufgefor- 
dert habe, den Papst zu ruhigerer Haltung gegenüber Deutschland zu be- 
wegen, erklärte die italienische Presse sofort und mit Bestimmtheit, daß 
keine italienische Regierung einem solchen deutschen Verlangen ent- 
sprechen könne und werde. Das italienische Garantiegesetz sichere die 
kirchliche Unabhängigkeit des Papstes. Wenige Tage nach der Mailänder 
Begegnung erklärte Minghetti vor seinen Wählern in Bologna, es sei be- 
hauptet worden, der Mailänder Besuch des Deutschen Kaisers könne eine 
Änderung der italienischen Kirchenpolitik veranlassen. Das sei ein Irrtum. 
Die Kirchenpolitik Italiens beruhe auf dem Prinzip der Trennung zwischen 
Kirche und Staat. Die mit diesem Prinzip erreichten Resultate zeigten 
keinen Grund zur Änderung der bisherigen Politik. Meinem Vater gegen- 
über hatte sich Minghetti schon in Mailand auf die berühmten Worte be- 
rufen, die der sterbende Cavour dem ihm die Sakramente reichenden 
Mönch zugerufen hatte: ,Frate, frate, libera chiesa in libero stato!“ Ich 
selbst habe noch erlebt, daß bei der fünfzigsten Wiederkehr des Tages der 
Proklamation des Königreiches Italien, am 10. März 1911, der Minister- 
präsident Luigi Luzzatti, ein Israelit, auf dem Kapitol in meinem Beisein 
eine Rede hielt, in der auf das nachdrücklichste und feierlichste der Grund- 
satz von der freien Kirche im freien Staat noch einmal verkündigt wurde. 
Auf diesem Wege ist Italien weiter gekommen als wir mit dem von den 
guten Professoren in Greifswald und wohl auch an anderen deutschen 
Hochschulen mit hellem Jubel begrüßten unseligen Kulturkampf.
	        
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