Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIE FÜRSTIN Y. 333 
hatte. In ihrem Wesen lag etwas Lässiges, Gleichgültiges, gewissermaßen 
Verhaltenes, das die Sinne reizte. Wenn nicht ein langer Galopp oder ein 
rascher Tanz sie erhitzt hatte, bedeckte eine bei deutschen Frauen seltene 
Blässe das wohlgeformte Oval ihrer Wangen. Während ich die schöne Frau 
nicht ohne Bewunderung betrachtete, sprach mein Chef zu mir: „Ich stelle 
Sie der Fürstin Y. vor, der Sie die Honneurs unseres Caffarelli machen 
sollen. Erzählen Sie ihr die Geschichte unseres Palazzo. Ich muß mich noch 
anderen Damen widmen.“ 
Die Fürstin nahm meinen Arm, und wir machten einen Rundgang durch 
die Säle. Ich erzählte ıhr die Geschichte des Palazzo, der ein halbes Jahr- 
hundert später dem Reich verlorengehen sollte. „Die Caffarelli‘‘, setzte ich 
ihr auseinander, ,„‚waren eine alte Herzogsfamilie, die schon im dreizehnten 
Jahrhundert zu der kaisertreuen Ghibellinischen Partei stand. Ein Caffarelli 
fiel auf dem Schlachtfeld von Tagliacozzo als treuer Gefolgsmann unseres 
armen und lieben Konradin von Schwaben.“ Meine schöne Begleiterin 
hörte aufmerksam zu. „Sie stehen“, belehrte ich sie weiter, „auf dem 
Kapitolinischen Hügel, auf den Fundamenten eines alten Jupitertempels, 
aber gleichzeitig umgeben Sie hehre deutsche Erinnerungen. Auch im 
sechzehnten Jahrhundert waren die Gaffarelli Anhänger der Deutschen 
Kaiser. Dafür wurden sie belohnt, als Kaiser Karl V., der große Carolus 
Quintus, im Laufe seiner Regierung einmal Rom besuchte. Er ernannte den 
jungen Ascanio Caffarelli, der ungefähr in meinem Alter stand, das heißt 
vierundzwanzig Jahre alt war, zu seinem Pagen und schenkte ihm, nachdem 
er längere Zeit persönlich Dienste bei ihm getan hatte, den südlichen Teil 
des Kapitolinischen Hügels. Mir hat noch niemand ein so schönes Geschenk 
gemacht. Als der so ausgezeichnete Ascanio als Greis wieder in seine Heimat 
zurückkehrte, ließ er sich auf seinem neuen Grundstück durch den trefflichen 
Canonica, einen Schüler des großen Baumeisters Giacomo Vignola, einen 
Palast erbauen, unseren Caffarelli, den Sie mit Ihrer Gegenwart beglücken. 
Hier hausen seit einem halben Jahrhundert deutsche Diplomaten. Der erste 
Deutsche von Namen, der hier geweilt hat, war der Sohn von Goethe, der 
freilich ein weniger großer Poet war als sein Vater. Er soll in seinem Leben 
nur einen einzigen Vers gemacht haben. Der lautet: ‚Hier steh’ ich auf dem 
Kapitol und weiß nicht, was ich sagen soll.‘ Hier hat als Gesandter beim 
Papst der Historiker Barthold Niebuhr gewirkt, der eine dreibändige, ganz 
ausgezeichnete Römische Geschichte geschrieben hat, mit der ich Sie ver- 
schonen will. Nach ihm kam Josias von Bunsen, den Bismarck nicht mochte, 
der aber bei Friedrich Wilhelm IV. in großer Gunst stand.“ Ich führte die 
Fürstin in ein kleines Zimmer neben dem großen Saal. „In diesem kleinen 
Zimmer“, fuhr ich fort, „hat sich in den fünfziger Jahren eine Tragödie 
abgespielt. Preußischer Gesandter war damals ein Herr von Kanitz, ein 
Palazzo 
Caffarelli
	        
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