Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

RÜCKSICHT AUF DIE KURIE 337 
den Vorabend der Abreise bei Spillmann, einem damals vielbesuchten 
Restaurant in der Via Condotti verabredet, an dem außer dem Fürsten und 
der Fürstin Y. die Herren der Deutschen Gesandtschaft und einige öster- 
reichische und englische Diplomaten teilnahmen. Obgleich ich einen leichten 
Anfall von römischem Fieber gehabt hatte, wollte ich bei diesem Abschieds- 
fest nicht fehlen. Das Diner verlief sehr angeregt. Während sich die Herren 
erhoben, um ihre Mäntel in der Garderobe anzulegen, schob mir die Fürstin 
einen Zettel zu, auf dem ich las: „Write to Florence. Don’t be ill! Ilove you.“ 
Diese mich beglückende Eröffnung klebte ich am nächsten Tag in meine 
Brieftasche und legte darüber eine kleine Photographie, die den klassisch 
geformten Kopf der schönen Frau wundervoll wiedergab. 
OÖ zarte Sehnsucht, süßes Hoffen! 
Das Auge sieht den Himmel offen, 
Es schwelgt das Herz in Seligkeit. 
Während des Winters 1874/75 war auf italienischer Seite wiederholt der 
Wunsch hervorgetreten, daß Kaiser Wilhelm I. den Besuch erwidern möge, 
den ihm König Viktor Emanuel im September 1873 in Berlin abgestattet 
hatte. Der König war bei diesem Besuch von seinem Ministerpräsidenten 
Marco Minghetti und dem Minister des Äußern Emilio Visconti-Venosta 
begleitet gewesen. Jener hatte Bismarck sehr gut, dieser gar nicht gefallen. 
Nach längerem Meinungsaustausch war man auf deutscher wie auf 
italienischer Seite zu der Überzeugung gekommen, daß bei den damaligen 
schlechten Beziehungen zwischen der Kurie und der deutschen Regierung 
und dem delikaten Verhältnis zwischen der italienischen Regierung und 
der Kurie ein deutscher Besuch in Rom ausgeschlossen sei. Tatsächlich ist 
ein solcher erst im Oktober 1888 erfolgt, als Kaiser Wilhelm II. kurz nach 
seiner Thronbesteigung Rom aufsuchte, weniger aus ernsthaften politischen 
Motiven als aus unruhiger Reiselust. 
Aus den letzten „Römischen Briefen“ von Kurd von Schlözer ist be- 
kannt, daß dieser erste Besuch Wilhelms II. in der Ewigen Stadt ein Fiasko 
war, und zwar nach beiden Seiten. Der junge Kaiser verstimmte den Papst, 
indem er in einem im Quirinal ausgebrachten Toast, ohne besonderen Grund, 
demonstrativ von Rom als von der unantastbaren Hauptstadt des König- 
reichs Italien sprach. Noch schlimmer war, daß er seine Unterredung mit 
Leo XIII., der viel auf dem Herzen hatte und dem Kaiser noch allerlei 
sagen wollte, in überstürzter, unhöflicher Weise abbrach. Das königliche 
Italien verstimmte Wilhelm II. dadurch, daß er, wo er nur Gelegenheit fand, 
in diesem, damals seit Jahren liberal und parlamentarisch regierten Lande 
über Parlamentarismus und Liberalismus räsonierte, die ihm vorgestellten 
Senatoren und Deputierten kaum eines Wortes würdigte und so König 
22 Bülow IV 
Kronprinzen- 
besuch 
in Italien
	        
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