338 EINE BEGEGNUNG
Humbpert in arge Verlegenheit setzte. Der Staatssekretär Herbert Bismarck,
der den Kaiser 1888 begleitete, hatte durch sein eigenes Verhalten die
Mängel und Fehler seines Souveräns noch verstärkt. Bei reichen Gaben des
Herzens und des Geistes fehlte es ihm nicht selten an Takt, was sich auf
dem schwierigen römischen Terrain besonders bemerkbar machte.
Ich kehre zum Frühjahr 1875 zurück, wo unter einem weisen, pflicht-
treuen, immer taktvollen Souverän solche Entgleisungen und Exzen-
trizitäten, wie wir sie später erleben mußten, nicht möglich waren. Mitte
April 1875 erhielt der Gesandte von Keudell die Nachricht, daß Kaiser
Wilhelm zu seinem aufrichtigen Leidwesen den längst von ihm beab-
sichtigten Gegenbesuch in Italien aus Gesundheitsrücksichten neuerdings
aufgeben müsse. Keudell wurde beauftragt, dem König Viktor Emanuel, der
sich gerade in Neapel befand, ein eigenhändiges Schreiben des Kaisers zu
überreichen, das dessen Bedauern warmen Ausdruck gab. Gleichzeitig hatte
Keudell dem König mitzuteilen, daß das deutsche Kronprinzenpaar
einen längeren Aufenthalt in Italien nehmen, sich zunächst in Florenz
aufhalten und daß der Kronprinz von da dem König Viktor Emanuel einen
Besuch in Neapel abstatten werde. Von Neapel nach Rom zurückgekehrt,
sagte mir Herr von Keudell, daß er sich am 23. April nach Florenz begeben
werde, um dort den kronprinzlichen Herrschaften seine Aufwartung zu
machen. Ich solle ihn begleiten.
Am 24. April in Florenz eingetroffen, wurde Keudell mit mir bei den
kronprinzlichen Herrschaften zum Frühstück befohlen. Sie waren im Hotel
New York abgestiegen. Wir wurden zunächst in das Empfangszimmer
geführt, wo die Suite Ihrer Kaiserlichen Hoheiten wartete, unter ihnen die
dicke, immer übellaunige Hofdame Gräfin Hedwig Brühl und der biedere
General Mischke, der Jugendgespiele und treue Adjutant des Kronprinzen,
der bei Königgrätz, bei Weißenburg und Wörth im Granatfeuer neben dem
Kronprinzen gehalten hatte, wie sein hoher Herr ein Ritter ohne Furcht und
Tadel, tapfer und treu. Die Flügeltüren wurden geöffnet, und die Kron-
prinzessin trat ein, neben ihr eine zierliche, weiß gekleidete Dame, die jedem
sogleich durch ihre wundervollen Augen auffallen mußte, schwarze Augen,
aus denen Geist, aus denen vor allem Güte und Gemüt sprachen. Ich frug
den General Mischke: „Wer ist die kleine Dame neben der Kronprinzessin ?““
Gräfin Marie Er antwortete mir: „Das ist die Gräfin Marie Dönhoff, die Tochter von
Dönhof Donna Laura Minghetti und Freundin der Frau Kronprinzessin.““ Ich bat,
mich der Gräfin vorzustellen, welcher Bitte der General gern entsprach. Ich
wurde von der Gräfin keines Wortes gewürdigt, hatte aber keine Zeit,
darüber Reflexionen anzustellen, denn man ging sogleich zu Tisch.
Die Kronprinzessin führte die Konversation, lebhaft, angeregt und in
bester Laune. ‚‚Sie ist immer guter Laune, wenn sie nicht in Berlin oder in