KEUDELL SEUFZT 339
Potsdam ist‘, meinte seufzend der General Mischke, neben dem ich placiert
war. „Sie hat große Eigenschaften, reiche Gaben, Charakter, Verstand und
auch Herz. Aber sie kann sich nun einmal nicht an unsere preußische Art
gewöhnen.“
Am Ahend war Galavorstellung im Teatro della Pergola. Ich saß in einer
kleinen Loge, neben einer größeren, in der Donna Laura Minghetti und ihre
reizende Tochter saßen, wurde aber wiederum von ihnen keines Blickes
gewürdigt. Meine liebe und von mir sehr geliebte Schwiegermutter amüsierte
es in späteren Jahren köstlich, wenn ich ihr sagte, ich würde ihr diese kühle
Haltung gegenüber einem so charmanten jungen Mann, wie ich es gewesen
sei, niemals verzeihen.
Am nächsten Tage trat Keudell früh in mein Zimmer. Im Gegensatz zu
seiner sonstigen kühlen Art war er sichtlich erregt. Er sagte mir, er müsse
sich mit mir aussprechen, denn er habe soeben eine Nachricht erhalten, die
ihn tief erschüttert habe. Er fühle das Bedürfnis, mir sein Herz auszu-
schütten. Wenn ich auch noch jung sei, so seiich doch über meine Jahre
gereift. Auch wisse er sich meiner Diskretion sicher. „Ich habe die mir
gmädig gesinnte Donna Laura Minghetti, die Gemahlin des Minister-
präsidenten, gebeten, die Umgebung der kronprinzlichen Herrschaften zu
sondieren, wie ich bei Ihren Kaiserlichen Hoheiten angeschrieben wäre. Das
Ergebnis ist für mich wahrhaft betrübend. Donna Laura hat mit dem
Kammerherrn der Frau Kronprinzessin, dem Grafen Götz von Seckendorff,
gesprochen, der sich des vollen Vertrauens Ihrer Kaiserlichen und König-
lichen Hoheiten erfreut und andererseits Donna Laura sehr devouiert ist.
Er hat Madame Minghetti ganz offen und ganz bestimmt gesagt, daß die
Frau Kronprinzessin mich nicht ausstehen könne. Sie hielte mich für einen
blinden Anhänger von Bismarck, für einen von jenen bösen Leuten, die,
um nicht Bismarcks Gunst zu verlieren, zu jeder Schandtat bereit wären.“
Keudell seufzte tief. Dann fuhr er fort: „Und während die Frau Kron-
prinzeß mich für einen blinden Bismarckianer hält, fühle ich, daß ich beim
Fürsten nicht mehr so gut angeschrieben bin wie früher. Ich sehe trübe in
meine Zukunft. Ich fühle mich in Rom so glücklich. Ich hänge so sehr an
meinem römischen Posten.‘ So gut ich es vermochte, suchte ich meinen
Chef zu trösten. Ich erlaubte mir, ihn an das weise Wort des General-
feldmarschalls Derfflinger zu erinnern, der gesagt habe, daß man sich über
schlechtes Wetter, Frauenlaunen und fürstliche Ungnade nie aufregen
müsse. Meine wohlgemeinten Tröstungen schienen auf meinen Chef keinen
großen Eindruck zu machen. Dagegen gereichte es ihm augenscheinlich zur
Genugtuung, daß es nach dem, was Graf Seckendorff der Gemahlin des
italienischen Ministerpräsidenten weiter anvertraut hatte, meinem Vater
und also auch mir bei einem Thronwechsel in Deutschland nicht besser
22°