Der Taunus
20 EINE PROPHEZEIUNG
Schwester Alexandra, aber eigenwilliger. Prinz Christian von Glücksburg,
der spätere König Georgios von Griechenland, der im Alter zwischen den
beiden Schwestern stand, war für den dänischen Seedienst bestimmt. Ein
Jahr bevor er den griechischen Thron bestieg, kam er mit seinem Vater
nach Frankfurt, von wo beide einen Besuch in Rumpenheim abstatten
wollten. Prinz Christian schlug meinem Vater eine Spazierfahrt um die
Frankfurter Anlagen vor. Ich wurde mitgenommen. Als mein Vater den
Vordersitz gegenüber den künftigen Königen von Dänemark und Griechen-
land einnehmen wollte, protestierte Prinz Christian: „Mein Sohn ist noch
ein Kind. Er setzt sich mit Ihrem Jungen uns gegenüber.“ Ich kann mich
auch noch wohl eines Besuches erinnern, den die Königin Karoline-Amalie
von Dänemark, die Witwe des Königs Christian VIII. und Tochter des
Herzogs Friedrich Christian von Augustenburg, meiner Mutter abstattete.
Mein Vater war nicht zu Hause, und als die Königin fortging, forderte mich
meine Mutter auf, Ihrer Majestät den Arm zu reichen und sie zu ihrem
Wagen zu geleiten. Ich machte eine kleine Verbeugung und führte die
Königin bis zu ihrem Wagen. Sie küßte mich auf die Stirn und sagte zu
mir: „Das hast du sehr gut gemacht! Du wirst gewiß noch einmal dänischer
Grand Chambellan werden.‘ Ich erzählte diese kleine Reminiszenz aus
meiner Kindheit viele Jahre später der Kaiserin Auguste Viktoria, die eine
Nichte der Königin Karoline-Amalie war, als ich mit ihr und Wilhelm II.
auf der Jacht „Iduna‘“ vor Eckernförde kreuzte. Ich fügte hinzu: „Die
Träume der Kindheit erfüllen sich selten. Schließlich habe ich es doch nicht
bis zum dänischen Oberstkämmerer gebracht. Aber alles in allem und trotz
mancher Sorgen, die mir Seine Majestät gelegentlich bereiten, gehe ich doch
lieber in Berlin Unter den Linden spazieren als auf der Langelinie in
Kjöbnhaven.“ Der Kaiser lachte sehr.
Die Besuche in Rumpenheim waren für mein kindliches Gemüt auch
deshalb erfreulich, weil der Weg durch eine reizende Gegend führte. Der
Main, Frankens schöner Hauptfluß, ist nicht von der Sage umsponnen wie
der Rhein, es ist auch nicht soviel Blut um ihn geflossen, er hat keine so
große geschichtliche Rolle gespielt, aber seine stille und ruhige Art macht
ihn dem teuer, der wie ich an seinen lieblichen Ufern gelebt hat. Ich kenne
kaum eine Gegend, die so gemacht ist, den Sinn für landschaftliche Schön-
heit und die Liebe zur Natur zu entwickeln, wie die Umgebung von Frank-
furt. Der Taunus mit seinen sanften Hängen und abgerundeten Bergkuppen
lockt um so mehr, als er zu entfernt ist, um zur täglichen Gewohnheit zu
werden, und daher immer neue Reize erschließt. Ich habe seitdem Tirol
und die Karpathen, die italienischen und die griechischen Berge, ich habe
vor allem die Schweizer Alpen kennengelernt, aber kein Gipfel hat meine
Phantasie beschäftigt und angezogen wie der Feldberg mit dem Brun-