Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

BISMARCK ÜBER SPRACHKENNTNISSE 21 
hildenstein, der steile Altkönig, dessen Spitze ein Steinwall umgibt, den die 
alten Germanen angelegt haben sollen. Wie frisch waren die Laubwälder 
des Taunus, wie herrlich der Blick von oben auf die weite Fläche, die sich 
am Fuß des Taunus ausbreitet, auf die vielen blühenden Ortschaften, auf 
die blauen Fernhöhen! Oft suchten wir das nahe der Stadt gelegene Frank- 
furter Wäldchen auf, in dem auch der preußische Gesandte von Bismarck- 
Schönhausen gern mit seiner Frau und seinen drei Kindern spazierenging. 
Wir gingen hinaus aufs Jägerhaus, wir wanderten nach der Mühle. An einem 
schönen Östersonntag ging mein Vater mit uns Knaben hinauf zu jenem 
Stein, wo Goethe den „Osterspaziergang“ gedichtet haben soll, wo Faust 
mit seinem Famulus Wagner von einer Wanderung rastet, wo er im ewigen 
Abendstrahl die stille Welt zu seinen Füßen sicht, wo das Gefübl hinauf- 
und vorwärtsdringt — 
Wenn über uns, im blauen Raum verloren, 
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt, 
Wenn über schroffen Fichtenhöhn 
Der Adler ausgebreitet schwebt 
Und über Flächen, über Seen 
Der Kranich nach der Heimat strebt. 
Mein Vater lebte und webte in Goethe. Das war damals nicht so all- 
gemein wie heute. Der Einfluß von Goethe auf die Nation war in jener Zeit 
weniger groß als der von Schiller. Der hundertjährige Geburtstag von 
Goethe im August 1849 war kaum gefeiert worden. Die Liebe meines Vaters 
zu Goethe war so lebhaft, daß er mir gelegentlich sagte, er bedauere, mich 
nach seinem Großvater Bernhard genannt zu haben, er hätte mich auf den 
Namen Wolfgang taufen lassen sollen. 
Meine Ausbildung lag bis zu meinem zwölften Jahr in den Händen 
meiner kurhessischen Hauslehrer. Vorher stand ich unter der Obhut eng- 
lischer und französischer Gouvernanten, denen ich die Beherrschung des 
Französischen wie des Englischen verdanke, was mir meine spätere diplo- 
matische Tätigkeit nicht unerheblich erleichtert hat. Zu den vielen miß- 
verstandenen Äußerungen des Fürsten Bismarck gehört auch seine angeb- 
liche Bemerkung, Sprachkenntnisse wären nur für Kellner nützlich. Wenn 
dieses Wort wirklich gefallen ist, so war es natürlich eine Boutade. Es wird 
wohl so gewesen sein, daß Fürst Bismarck keine Lust hatte, diesen oder 
jenen jungen Anwärter für die Diplomatie zu nehmen. Als nun für den be- 
treffenden Jüngling seine Sprachkenntnisse geltend gemacht wurden, mag 
Bismarck geantwortet haben: „Ein schönes Talent für einen Oberkellner !“ 
Es war das nur eine Form der Ablehnung. In Wirklichkeit verlangte Fürst 
Bismarck von seinen Diplomaten mündliche und schriftliche Geläufigkeit 
Gouvernanten
	        
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