Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

22 FRÄULEIN VON X. 
im Französischen und noch besser im Französischen und im Englischen. 
Ich glaube nicht, daß Bismarck einem Matthias Erzberger, der kein Wort 
Französisch verstand, geschweige denn sprechen konnte, entscheidende, 
schicksalsschwere Verhandlungen mit französischen Generälen und Diplo- 
maten übertragen hätte. Ich bin jedenfalls den Engländerinnen und Fran- 
zösinnen, die mich in meiner Kindheit, wo sich fremde Sprachen am leich- 
testen und besten erlernen lassen, mit beiden Sprachen vertraut machten, 
noch heute dankbar. Meine englische Gouvernante, Miß P., war groß, 
schön gewachsen, sie hatte prächtige Zähne und Augen, die strenge blickten, 
auch wenn sie zärtlich gestimmt war. Meine französische Erzieherin, Made- 
moiselle T., war klein, zierlich, beweglich, ein wenig kokett. Miß P. schloß 
ihre Ermahnungen gern mit den Worten: „Mr. Bernhard, behave as a 
gentleman, otherwise I cannot love you.“ Mlle. T. flötete: „Mon petit 
Bernard cheri, soyez bien gentil avec votre bobonne qui vous aime tant.“ 
Miß P. und Mademoiselle T. gefielen mir beide sehr gut. Mein Vater sprach 
ausgezeichnet Französisch. Meiner Mutter war das Englische vertrauter, 
das damals in Hamburger Patrizierhäusern viel gesprochen wurde. Ein 
Zweig der Familie Rücker hatte sich im achtzehnten Jahrhundert nach 
England gewandt, war dort völlig anglisiert worden, unterhielt aber noch 
Verbindungen mit der alten Heimat und den Hamburger Verwandten. 
In Frankfurt erhielt ich meinen ersten Tanzunterricht. Unter den jungen 
Tanz- Mädchen, mit denen ich mich im Reigen drehte, war auch Fräulein N., 
unterricht deren Mutter für die größte Schönheit der Frankfurter Gesellschaft galt. 
Man flüsterte sich zu, daß der österreichische Gesandte, Graf Friedrich 
von Thun-Hohenstein, ihr den Hof gemacht habe. Nach ihm sei ein 
eleganter preußischer Husarenoffizier, der Baron Max Schreckenstein, von 
ihr ausgezeichnet worden. Boshafte Zungen fanden, daß ihre ältere Tochter 
dem Grafen Thun, die jüngere dem Freiherrn von Schreckenstein gliche. 
Verständige Leute meinten mit Kaiser Justinian und dem guten Herrn N.: 
„Pater est quem nuptiae demonstrant.“ Meine Lieblingstänzerin war Fräu- 
lein von X., deren Vater der Bundes-Militär-Commission angehörte. Als mit 
dem Ende des Winters auch die Tanzstunden ihr Ende erreicht hatten und 
ich betrübt von meinen Tänzerinnen Abschied nahm, lief sie mir nach und 
umarmte und küßte mich unter Tränen. Es war dies das erstemal in meinem 
Leben, daß eine Dame die Güte hatte, mir spontan anzudeuten, ich wäre 
ihr nicht unsympathisch. Ich habe Fräulein von X. nie wiedergesehen. Sie 
ist aber nicht an Liebesgram gestorben, sondern hat einen wackeren General 
geheiratet, dem sie sieben Kinder schenkte. 
Meine geistige Ausbildung verdanke ich in allererster Linie meinem Vater. 
Geistige Er legte die Fundamente meiner Bildung. Als solche möchte ich einerseits 
Ausbildung die Bibel, andererseits Homer bezeichnen. Mein Vater gedachte der Worte,
	        
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