Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Prinz 
Ferdinand 
Wittgenstein 
368 DER BESTE MAZURKATÄNZER 
Heinrich VII. Reuß, war er zu Ruhe und Takt erzogen worden. Er nahm nie 
etwas übereifrig oder gar aufgeregt, aber alles achtsam und gewissenhaft. 
Als ich mir einmal beim Dechiffrieren einer Berliner Depesche einen 
Flüchtigkeitsfehler zuschulden kommen ließ, gab er mir einen scharfen 
Verweis, der mir für meine ganze dienstliche Zukunft nützlich gewesen ist. 
O0 un daosis Üv9$gmnog ov naudeveraı (Wer nicht geschunden wird, wird 
nicht erzogen). Goethe hat diesen Vers als Motto vor den ersten Teil 
von „Dichtung und Wahrheit“ gestellt. Ich halte diese Gnome des 
alten Menander aus Athen für eine der weisesten Lehren, die je erteilt 
wurden. Aus aufrichtiger Dankbarkeit und in verdienter Anerkennung 
seiner dienstlichen Eigenschaften habe ich als Reichskanzler den treff- 
lichen Alvensleben als Botschafter und gerade für Petersburg in Vorschlag 
gebracht. 
Alvensleben hielt als mein Vorgesetzter auch darauf, daß ich fleißig in 
die Welt ging. Ich tanzte viel. Ich lernte bald die Mazurka, den Nationaltanz 
der Polen und Russen. Neben dem schon einmal von mir gepriesenen 
Menuett und dem Walzer, den nur Barbaren mißachten können, erschien 
mir die slawische Mazurka als der schönste Tanz. Der beste Mazurkatänzer 
in St. Petersburg war weder ein Pole noch ein Russe, sondern ein Deutscher, 
der Prinz Ferdinand Wittgenstein. Er war ein Sohn des Prinzen August 
von Sayn-Wittgenstein, der vor 1848 nassauischer Ministerpräsident und 
vom Mai bis zum Dezember 1849 sogar Reichskriegsminister gewesen war. 
Ganz international gesinnt, wie damals viele deutsche Standesherren, hatte 
er seine beiden Söhne Emil und Ferdinand in russische Dienste treten 
lassen. Ihre schöne Mutter Franziska von Schweitzer war übrigens eine 
Verwandte des Sozialdemokraten Jean Baptiste von Schweitzer, der von 
1864 bis 1871 Präsident des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins war. 
Prinz Ferdinand Wittgenstein war trotz aller oder gerade wegen seiner 
Exzentrizitäten in Petersburg sehr beliebt. Er hatte einmal gewettet, daß 
er in einer Troika von Petersburg nach Perm an der Kama, an der Grenze 
des europäischen und des asiatischen Rußlands fahren und auf jeder Post- 
station einen großen Teller der überaus schwer verdaulichen russischen 
Nationalsuppe Badwinia zu sich nehmen, eine Flasche Wein trinken und 
ein Mädchen umarmen würde. Er hat die Wette gewonnen. Sein älterer 
Bruder, Prinz Emil Wittgenstein, war weniger originell, stand aber geistig 
höher. Er verband deutsche dienstliche Tüchtigkeit mit der „shirokaja 
natura‘, der breiten russischen Art, die er in Rußland angenommen hatte. 
Er hatte während des polnischen Aufstandes von 1862 bis 1864 die In- 
surrektion in dem von ihm verwalteten russisch-polnischen Gouvernement 
mit Energie unterdrückt, aber die unterworfenen Rebellen vernünftig und 
human behandelt.
	        
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