SLAWISCHE FRAUEN 369
Er war ein glänzender Causeur und wurde von Alexander II., der
für Geist und Witz empfänglich war, öfters zur Tafel befohlen. Er war in
erster Ehe mit einer reichen rumänischen Erbin, der Prinzessin Pulcheria
Kantakuzenos, vermählt. Nach ihrem Tode heiratete er eine bekannte
polnische Tänzerin, Mademoiselle Camilla Stefanska. Als eine prüde
deutsche Fürstin Emil Wittgenstein frug, wie er eine Tänzerin habe heiraten
können, entgegnete er: „Ist Ihnen die Antwort bekannt, die einst die
hochselige Königin Friderike von Hannover auf eine ähnliche Bemerkung
einer ihrer Hofdamen erteilte? Die hatte sich darüber aufgehalten, daß eine
andere Dame des Hofes sich die Cour von einem Herrn machen ließ, der
keinen besonderen Ruf hatte. Die Königin frug die Hofdame, ob sie ein
Verhältnis mit jenem Herrn gehabt habe. Als die Frage entrüstet verneint
wurde, meinte Ihre Majestät: ‚Dann haben Sie über den Fall überhaupt
kein Urteil. So sage auch ich: Wer Camilla nicht näher kennt, hat kein
Urteil über meine Heirat.“
Obwohl ich der Fürstin Y.fast täglich schrieb, war ich doch nicht
unempfänglich für die Reize slawischer Frauen. Ich war offenbar noch zu
jung, um mich auf ein einziges Gefühl einstellen zu können. Und wenn ich
von der moralischen Seite absehe, die ich als Siebziger natürlich anders
beurteile wie als Zwanzigjähriger, halte ich es für nützlich, daß ich schon
früh Gelegenheit fand, an slawischen Frauen den russischen wie den pol-
nischen Charakter zu studieren. Bismarck unterschied gern zwischen
männlichen und weiblichen Nationen. Zu den ersteren rechnete er die
Deutschen, die Engländer, die Skandinavier, die Holländer und Schweizer,
auch die Türken, zu den letzteren die Romanen und Slawen. Die polnische
Prinzessin R. war schlank und biegsam wie eine Weidengerte, brünett mit
großen, erstaunten Augen, phantastisch, verwegen, im Guten wie im
weniger Guten zu vielem fähig. Sie war kaum achtzehn Jahre alt. Fünfzehn-
Jährig war sie mit einem sehr unbedeutenden Mann verheiratet worden.
Ich habe von ihr gelernt, daß die Polen, und ich sage es zum Lobe der Polen,
an leidenschaftlichem Patriotismus nur von den Franzosen übertroffen
werden. Ich habe auch von ihr gelernt, daß der Pole in dem Deutschen
immer seinen einzigen wirklichen Feind sehen wird. Daß die Prinzeß R. mir
das offen sagte, obwohl sie die Güte hatte, zu meinen Gunsten eine für
mich persönlich schmeichelhafte Ausnahme zu machen, gab ihrem Urteil
besonderen Wert.
Was auch Pedanten sagen mögen, man lernt aus dem Leben mehr
als aus allen Büchern, selbst aus solchen, die auf Grund „wissenschaft-
licher‘“‘ Forschung entstehen. Die Gräfin T., eine Russin, einige Jahre
älter als ich, war nicht weniger reizvoll und doch anders. Ihr Gatte war
nicht so einfältig wie der Prinz R., dagegen selbst für einen Petersburger
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Aristo-
kratinnen