Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

XXVIL. KAPITEL 
Botschafter Prinz Heinrich VII. Reuß ». Botschafter von Schweinitz - Mission Radowitz 
Alexander Il. . Kaiserin Maria Alexandrowna » Katharina Dolgorukij » Herzog Georg 
von Mecklenburg-Strelitz « Kaiser Paul, das autokratische Regime und die Knuten- 
strafe «» Abschiedsbesuch bei Gortschakow (1876) 
ch möchte nicht den Anschein erwecken, als ob ich in Petersburg nur den 
Freuden der Gesellschaft gelebt und meine dienstlichen Obliegenheiten 
nicht ernst genommen hätte. Nicht lange nach seinem Eintreffen in Peters- 
burg ersuchte mich der Butschafter von Schweinitz eines Abends, ihm über 
die Lage in Zentralasien und namentlich über den Stand der dortigen 
russisch-englischen Beziehungen baldmöglichst eine Aufzeichnung zu unter- 
breiten. Ich machte mich sofort ans Werk und arbeitete ununterbrochen 
von zehn Uhr abends bis acht Uhr früh. Dann schlief ich eine kleine Stunde 
und brachte meinem Chef vor zehn Uhr das gewünschte Promemoria, mit 
dem er zufrieden war. 
Während ich arbeitete und studierte, tanzte und Schlitten fuhr, vollzog 
sich der seit einiger Zeit erwartete Wechsel in der Leitung unserer Botschaft. 
Der bisherige Botschafter Prinz Heinrich VII. Reuß hatte sich mit der 
ältesten Tochter des Großherzogs von Sachsen, der Prinzessin Marie von 
Weimar, verlobt. Bei ihrer nahen Verwandtschaft mit dem russischen Hof 
fürchtete man in Berlin, daß sie als deutsche Botschafterin gerade in 
St. Petersburg in eine schwierige Lage geraten könnte. So entschloß sich 
Bismarck, den Botschafter in Wien, General von Schweinitz, an die 
Stelle des Prinzen Reuß nach Petersburg zu versetzen. Prinz Reuß ist nach 
wenigen Jahren wieder in den diplomatischen Dienst zurückgetreten und 
hat 1877/78 als Botschafter in Konstantinopel während des Russisch- 
Türkischen Krieges, dann von 1878 bis 1894 als Botschafter in Wien dem 
Deutschen Reich weitere ausgezeichnete Dienste geleistet. Er hat, seitdem 
er mich in Petersburg kennenlernte, meine dienstliche Laufbahn mit immer 
gleichem Wohlwollen verfolgt und mir mit seinem weisen Rat oft helfend 
und fördernd zur Seite gestanden. Er war mein Trauzeuge, als ich am 
9. Januar 1886 in Wien heiratete. Er freute sich sechs Jahre später über 
meine Ernennung zum Botschafter in Rom wie über einen eigenen Erfolg. 
Wechsel in der 
Botschaft
	        
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