Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

374 EINE AUSSERORDENTLICHE MISSION 
Als er in Wien als Botschafter zurücktreten mußte, um Phili Eulenburg 
Platz zu machen, lud ich ihn ein, die ersten Wochen nach seinem Scheiden 
aus dem Dienst mit seiner Frau bei uns im Palazzo Caffarelli zu verleben, 
in der Stadt, die wie kaum eine andere Resignation lehrt und erleichtert. 
Außer meinem alten Kriegsobersten, dem Feldmarschall Lo&, hat sich über 
meinen Aufstieg zum Reichskanzler niemand mehr gefreut als Reuß. Als 
ich 1906 im Reichstag von einer Ohnmacht befallen wurde, lag der in- 
zwischen einundachtzig Jahre alt gewordene Prinz Heinrich VII. Reuß im 
Sterben. Fast seine letzten Worte im Leben waren, daß er seine Söhne 
beauftragte, mir seine herzlichsten Wünsche für meine baldige Wieder- 
herstellung und für mein langes Bleiben im Reichskanzleramt auszusprechen, 
„Nicht nur für ihn selbst, sondern vor allem für das Land.‘“ Ich werde 
diesem nicht nur durch seine Geburt, sondern vor allem als Charakter 
hochstehenden, durch und durch edlen Mann bis an mein eigenes Ende ein 
dankbares Andenken bewahren. 
Der Fortgang des Prinzen Reuß von St. Petersburg wurde dort allgemein 
Josef bedauert. Er wie Alvensleben waren in der russischen Gesellschaft beliebt 
v. Radowitz und genossen Vertrauen. Dagegen war die 1875 erfolgte, vielbesprochene 
Entsendung des Geheimen Legationsrates von Radowitz in besonderer 
Mission als außerordentlicher Gesandter nach St. Petersburg ein Fehlschlag 
gewesen. Fürst Bismarck, seit der Krieg-in-Sicht-Episode vom Frühjahr 
1875 schwer gereizt gegen Gortschakow, hatte gefunden, daß Prinz Reuß 
den alten russischen Kanzler zu sehr mit der Courtoisie eines immer 
höflichen Grandseigneurs behandele, während Alvensleben in Gortschakow 
mehr als erforderlich den dienstlich über ihm stehenden Kanzler erblicke. 
Radowitz sollte Gortschakow einmal recht deutlich werden. Josef von 
Radowitz, noch jung, sehr ehrgeizig, hatte, von kühnem Mut beflügelt, 
beglückt in seines Traumes Wahn, die ihm übertragene Mission mit Wonne 
übernommen. Es trat hinzu, daß er, der mit einer Tochter des russischen 
Gesandten in München, Ozerow, verheiratet und der Schwager eines 
höheren Beamten im russischen Ministerium des Äußern, eines Herrn 
Petersen, war, wegen dieser russischen Verwandtschaften an der Newa einer 
glänzenden Aufnahme sicher zu sein glaubte. Es kam leider anders. In den 
Petersburger Salons wurde Radowitz kühl empfangen. „Nous ne voulons 
pas faire des infidelites a ce bon Alvensleben ni au tres sympathique Prince 
Reuß“, meinten die in jener Zeit an der Newa noch sehr maßgebenden 
eleganten Frauen, die Femmes huppees. Der Zar nahm kaum Notiz von 
Radowitz. Sein Kanzler zeigte sich mehr als kühl. Die „außerordentliche 
Mission“ war ein Fiasko. 
Zu Ehren des scheidenden Botschafters Reuß fand Ende März 1876 bei 
den russischen Majestäten ein Abschiedsdiner en petit cercle statt, zu dem
	        
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