Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

FERN VON MADRID 377 
burg eintraf, begegnete ich allgemein der Annahme, daß die damals noch 
nicht dreißigjährige Katharina Dolgorukij seit etwa zehn Jahren die Ge- 
liebte des Kaisers Alexander II. sei. Im Jahre 1872 hatte sie ihm den 
ersten Sohn geboren, was namentlich in der Familie des Thronfolgers 
starke und begreifliche Erregung hervorrief, 1873 eine Tochter. Katharina 
Dolgorukij war geistig nicht bedeutend, aber gerade ihre „Simplicite‘“, ihre 
kindliche Naivität hatten nach der Ansicht der Welt den Kaiser in dem 
raffınierten Petersburger Milieu erst bezaubert, dann dauernd gefesselt. 
Es stand außer Zweifel, daß Alexander II. für alles, was seine junge 
Geliebte betraf, empfindlicher war als für seine eigene Person. Diese Er- 
fahrung blieb selbst dem einflußreichsten Mann am russischen Hof und 
somit, wie die Dinge in jener Zeit lagen, im russischen Riesenreich, dem 
Chef der sogenannten Dritten Abteilung, das heißt der Politischen Ge- 
heimen Polizei, dem Generaladjutanten und General der Kavallerie Graf 
Peter Schuwalow, nicht erspart. Ein Jahr vor meinem Eintreffen in 
Petersburg war dem Kaiser Alexander II. zugetragen worden, daß Peter 
Schuwalow, als vor ıhm über den Einfluß der Prinzessin Katharina 
Dolgurukij auf Seine Majestät geklagt wurde, lächelnd geäußert habe, mit 
dem „‚Mädel“ würde er schon fertig werden. Bald darauf wurde Graf Peter 
Schuwalow von heute auf morgen, Hals über Kopf, als russischer Bot- 
schafter nach London geschickt. In der Nähe der Deutschen Botschaft, in 
der Großen Morskaja, wohnte der Oberschenk Graf Hendrikow, dessen 
liebenswürdige und gute Frau allgemein beliebt war und viel empfing. Dem 
Kaiser war hinterbracht worden, daß sie eine maliziöse Bemerkung über die 
Prinzessin Katharina gemacht habe. Daraufhin erschienen bei ihr eines 
schönen Tages oder vielmehr in einer für sie nicht schönen Nacht Gen- 
darınen, ließen ihr nur eine Stunde Zeit, sich anzuziehen und sich in einen 
Pelz zu hüllen, setzten sie dann in einen Schlitten und fuhren sie nach 
einem im Innern Rußlands gelegenen, viele Werst von Petersburg entfernten 
Gute ihres Gatten mit der Weisung, bis auf weiteres dort zu bleiben. Dieses 
Vorgehen erinnert an den grimmigen Philipp II., der bei Schiller der 
Hofdame Marquise de Mondecar zehn Jahre Zeit vergönnt, fern von Madrid 
über eine Unvorsichtigkeit nachzudenken. So lange wie die arme Mondecar 
brauchte die Gräfin Hendrikow nicht in der Verbannung zu schmachten. 
Sie erhielt schon nach einigen Monaten die Erlaubnis, nach der Hauptstadt 
und in ihr Palais zurückzukehren. An diese Erlaubnis wurde eine originelle 
Bedingung geknüpft. Sie war seit Jahren mit unserem lieben Kaiser 
Wilhelm I. befreundet, der seit seiner frühesten Jugend durch die Heirat 
seiner Schwester Charlotte mit dem damaligen Großfürsten, späteren 
Kaiser Nikolaus I., viele Beziehungen zu Rußland hatte. Die Rückkehr 
nach Petersburg wurde der Gräfin Hendrikow nur unter der Bedingung 
Peter 
Schuwalow
	        
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