Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

ZAR PAUL 379 
Majestät zu sagen, daß der Kommandant in der Nacht plötzlich gestorben 
sei. Darauf Kaiser Paul: „Einen neuen ernennen und den einsperren!“ 
Um dem englischen Gesandten in Petersburg zu imponieren, hatte Kaiser 
Paul ihn eingeladen, einer Dienstübung beizuwohnen, die er mit seinem 
Leibhusarenregiment auf dem Petersburger Marsfeld abhalten wollte. 
Der Zar setzte sich an die Spitze seines Regiments und kommandierte: 
„Galopp! Karriere! Marsch! Marsch!“ Er selbst sprengte vor, da er aber 
eine sehr dünne Stimme hatte, war sein Kommando von dem Regiments- 
kommandeur nicht verstanden worden, und das Regiment blieb ruhig 
stehen. Als der Zar sich umsah, war er allein auf weiter Flur. Erst einige 
Zeit später fand sich höhnisch lächelnd der Lord bei ihm ein. In seiner Wut 
ritt Kaiser Paul auf das Regiment zu und kommandierte: „In Zügen rechts 
schwenkt marsch nach Indien!“ Der Kommandeur hatte die Geistes- 
gegenwart, den Befehl zu wiederholen und in einer beliebigen Richtung los- 
zumarschieren. Kaiser Paul kletterte auf einen möglichst hohen Turm und 
verfolgte mit Hilfe eines Fernrohres das marschierende Regiment, so lange 
ihm dies möglich war. Nach achtundvierzig Stunden hatte er den ganzen 
Vorfall vergessen, und die Leibhusaren kehrten still in ihre Kaserne zurück. 
Schon Herzog Georg von Strelitz machte mich darauf aufmerksam, daß 
Kaiser Paul im russischen Volke beliebt war und bei ihm ein gutes Andenken 
hinterlassen hatıe. Trotz aller seiner Sonderbarkeiten und obwohl er ein 
Tyrann war, der beispielsweise verlangte, daß, wenn er vorbeikam, jeder 
Passant vor ihm niederknien mußte, auch im Schnee, auch im Dreck. In 
der Tat wurde noch lange nach seinem Tode in der Erbgruft der Romanows 
in der Peter-Pauls-Kirche kein Zarensarg vom Volke so ständig und liebe- 
voll bekränzt wie der des Kaisers Paul. Ich selbst habe gerade vor diesem 
Sarge oft fromme Muschiks knien, beten und sich bekreuzigen sehen. 
Als im neunten Jahrhundert die Slawen in der Gegend von Nowgorod 
nach und nach in fast völlige Anarchie verfallen waren, schickten sie eine Die Ver- 
Deputation zu den normannischen Warägern und ließen ihnen sagen: „Wir schwörung des 
bewohnen ein schönes und reiches Land. Aber wir können uns selbst nicht Fr«fer Pahlen 
regieren. Kommt und herrscht über uns.“ So war es zu Beginn der russischen 
Geschichte, so blieb es unter Iwan dem Schrecklichen, unter Peter dem 
Großen, unter der großen Katharina und unter Kaiser Nikolaus I. So ist es 
auch heute unter bolschewistischer Herrschaft. Plus ca change, plus c’est 
la m&me chose. Das russische Volk will mit harter Faust regiert werden. 
Nicht nur der Herzog Georg von Strelitz und der Herzog Georg Leuchten- 
berg, sondern in späteren Jahren auch der Großfürst und die Großfürstin 
Wladimir haben mir mit Unbefangenheit gesagt, daß die Gemahlin des 
Kaisers Paul, die Kaiserin Maria Feodorowna, eine württembergische 
Prinzessin, und sein ältester Sohn, der nachmalige Kaiser Alexander I., um
	        
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