Preußisch-
russische
Generäle
382 BISMARCKS LACKPOTTEN
traten und im Innern die Deutschen in Rußland und speziell den durchaus
loyalen baltischen Adel verfolgten. Sie hatte schon früh, schon als Bismarck
von 1859 bis 1862 Gesandter in Petersburg war, den Genius in ihm erkannt
und lud ihn häufig zu sich ein. Herzog Georg von Mecklenburg-Strelitz
erzählte mir aus dieser Zeit einen für Bismarck bezeichnenden Zug. Er war
mit seiner Frau von der Großfürstin zum Abendtee eingeladen worden. Es
entspann sich eine angeregte Konversation. Bismarck sprach lange,
glänzend. Als er eine kleine Pause machte, sagte bei allgemeiner Stille seine
Frau zu ihm: „‚Aber, Ottochen, warum hast du deine Lackpotten angezogen,
wir sind ja nur ganz wenige Personen?“ Ohne eine Miene zu verziehen,
antwortete Bismarck: „Du hast ganz recht, mein Herz, die Lackschuhe
waren überflüssig.“ Dann fuhr er in der angefangenen Auseinandersetzung
fort. Der Herzog Georg fügte hinzu: „Ich wußte nicht, was mir mehr gefiel,
der unerschütterliche Aplomb des Mannes oder die unbefangene Natürlich-
keit der Frau.“
Bei dem Herzog Georg begegnete ich mehreren russischen Generälen,
die in der Zeit des Königs Friedrich Wilhelm IV. aus preußischen in
russische Dienste übergetreten waren, sich aber ein deutsches Herz bewahrt
hatten. Ich nenne unter anderen die Generäle von Erckert und von
Schack. Ich legte ihnen die Frage vor, ob sie an eine längere Dauer des
autokratischen Regiments in Rußland glaubten. Sie antworteten mir, daß
dieses Regiment an und für sich den Traditionen, Instinkten und Wünschen
des russischen Volkes entspreche. Es könne sich lange halten, aber nur unter
der Bedingung, daß nicht ein unglücklich verlaufender Krieg die Massen
aufrüttele. Daß auch in Rußland Revolutionen nicht unmöglich seien,
habe der Dekabristen-Aufstand von 1825 bewiesen, der fast zu einem
liberalen Umschwung geführt hätte. In den letzten Regierungsjahren des
Kaisers Nikolaus und in der ersten Zeit des Kaisers Alexander II. habe die
von Alexander Herzen in London redigierte revolutionäre Zeitung ,‚K.olo-
kol“ in Rußland zahlreiche Leser gefunden und einen starken Einfluß aus-
geübt. Der unglücklich verlaufene Krimkrieg habe das Ende des Kaisers
Nikolaus, wenn nicht herbeigeführt, so doch beschleunigt und seinen Nach-
folger genötigt, seine Regierung mit großen Reformen zu beginnen. Weitere
unglücklich verlaufende Kriege könnten zu radikaleren Reformen und
schließlich einmal zu einer wirklichen, ernsten und großen Revolution
führen. Diese Voraussage sollte sich nach dem Russisch-Türkischen Kriege
von 1877/78, in verstärktem Maße nach dem Russisch- Japanischen Kriege
von 1904/05 und schließlich und endgültig im Weltkrieg erfüllen.
Ältere Russen konnten sich während meines ersten Aufenthaltes an der
Newa noch sehr wohl an die Zeit der Knutenstrafe erinnern. Damals
wurde die Todesstrafe nur für politische Sünden in Anwendung gebracht.