DIE KNUTE 383
Für nichtpolitische Verbrechen trat an ihre Stelle die Knute. Die Beschrei-
bung dieses Strafinstrumentes entnehme ich einer zeitgenössischen Schilde-
rung russischer Zustände und Sitten unter Kaiser Nikolaus I., deren Ver-
fasser, I. C. Petri, weder ein böser Demokrat noch ein frecher Nörgler war.
Er schilderte die Knutenstrafe wie folgt: „Die Knute ist eine höchst
schmerzhafte Strafe. Die Knute ist eine etwa fünf Fuß lange und ein halbes
Pfund schwere Peitsche. Sie besteht aus einem zwei Schuh langen Riemen
von Juchtenleder von der Dicke eines Talers, am Stiel acht, an der Spitze
drei Linien breit. Um diesen Riemen recht hart und einschneidend zu
machen, wird er in Milch geweicht und dann in der Sonne getrocknet, wo-
durch er recht elastisch wie Horn und Pergament wird. Vermittels einer
eisernen Zwinge ist er an einen starken Stiel befestigt. In der Hand eines
geschickten Knutenmeisters kann der Missetäter mit sechs bis acht Hieben
zu Tode gepeitscht werden, wenn die Schläge längs dem Rückgrate stark
auffallen. Durch schwächeres Zuhauen kann der Mensch mit 150 bis 200
Hieben zu Tode gemartert werden. Bei der Exekution tritt der Nachrichter
hinter den Delinquenten, der mit entblößtem Rücken an einen schräg-
stehenden Pfahl gebunden ist, und haut jedesmal im Sprunge, um dem
Streiche desto stärkeren Nachdruck zu geben, weshalb er auch vor jedem
Hieb einige Schritte zurücktritt. Der Knutenpfahl selbst besteht aus einem
dicken und breiten Block oder einer dergleichen Bohle und hat oben einen
halbrunden, auf beiden Seiten aber vier solcher Einschnitte, in welche der
Kopf, die Arme und die Beine mit Riemen oder Stricken eingeschnürt
werden, wodurch alle Muskeln des Rückens ihre stärkste Ausdehnung er-
halten.“ Die Brutalität des bolschewistischen Rätesystems konnte sich an
der nicht minder verruchten Grausamkeit des altrussischen Regiments ein
Vorbild nehmen,
Meine Zuteilung zur Petersburger Botschaft war von Anfang an als eine
provisorische gedacht gewesen. So mußte ich denn Ende April:1876 nach
fünfmonatigem Aufenthalt die russische Hauptstadt verlassen. Vor meiner
Abreise ließ mich der Reichskanzler Fürst Gortschakow zu sich bitten.
Er empfing mich in einem überheizten Zimmer, in einem wattierten, sehr
eleganten Schlafrock. Er klagte mir über eine heftige Erkältung, die ihn
ans Zimmer fessele. Hinter Brillengläsern blickten mich kluge, noch mehr
schlaue als kluge Augen an. Haltung und Manieren waren die eines Grand-
seigneurs. Der Ausdruck des Gesichtes war materiell, sinnlich, fast gemein.
In einem sehr gewählten, sehr gesuchten, affektierten Französisch sagte mir
der Kanzler, er wolle mir Grüße für Berlin mitgeben. „On me dit que vous
avez beaucoup r&ussi dans notre societe. Je vous en felicite. Vous raconterez
a Berlin l’acceuil hospitalier, l’acceuil charmant que les Allemands trouvent
chez nous. Cet acceuilest :conforme auxrapports quiunissent siheureusement
Fürst
Gortschakow