Schillerfeier
von 1859
Tod eines
kleinen
Bruders
24 THEATER
„Impressionabilität‘‘, meinte aber lächelnd: „Non sine diis animosus
infans.‘“ Was ich schon verstanden und was meiner Eigenliebe geschmeichelt
haben muß, da ich mich daran erinnere.
Das erste Stück, das ich im Theater gesehen habe, war Shakespeares
„Sommernachtstraum“. Die komischen Szenen dieser unsterblichen Schöp-
fung des größten Dramatikers, die Scherze des Schnauz und Schluck, des
Zettel und Squenz, des Schnock und Flaut versetzten mich in eine so
lärmende Heiterkeit, daß Rufe laut wurden, man möge das „Jüngelche““, das
derartigen Lärm mache, schleunigst aus dem Theater entfernen. Auch dies
trug mir eine berechtigte Ermahnung zu größerer Selbstbeherrschung ein.
Die Schillerfeier im Jahre 1859 war seit 1848 vielleicht der erste Anlaß, wo
in Deutschland wieder nationale Empfindung mit gewaltigem Schwung
zum Ausdruck kam. Am Abend unternahm ich mit meinen Eltern eine
Rundfahrt durch das erleuchtete Frankfurt. An vielen Häusern waren
Transparente mit patriotischen Inschriften angebracht, namentlich aus der
„Jungfrau von Orleans‘ und aus dem „Tell“: „Nichtswürdig ist die Nation,
die nicht ihr alles freudig setzt an ihre Ehre“, „Ans Vaterland, ans teure,
schließ dich an, hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft“, und vor allem
der Mahnruf des sterbenden Attinghausen: „Seid einig, einig, einig, einig!“
Es gibt keine Ermahnung, deren der Deutsche auch heute mehr bedarf als
jener Aufforderung zur Einigkeit. Unter Zwist und Hader, unter selbst-
süchtigem Partikularismus in allen seinen Formen und Gestalten, unter
dem Parteigeist und der Borniertheit des Parteiegoismus hat kein Volk
mehr gelitten als das deutsche seit zweitausend Jahren.
Ich will von meiner frühesten Kindheit nicht Abschied nehmen, ohne
der Stunden zu gedenken, wo zum erstenmal der Tod und der Schmerz vor
mich traten. Ich war fünf Jahre alt. Meine Eltern waren, einer Einladung
des Herzogs von Nassau folgend, nach Wiesbaden gefahren. Ich spielte
mit meinen um ein, um zwei und um drei Jahre jüngeren Brüdern, Adolf,
Alfred und Waldemar, in unserem Kinderzimmer. Auf einem Tisch in der
Mitte der Stube stand ein großer Krug mit kochend heißem Wasser, den
ein Stubenmädchen unvorsichtigerweise dorthin gestellt hatte. Der Jüngste
von uns, Waldemar, zerrte mit kindlichem Unverstand an dem Tisch-
tuch, der Krug fiel um, und das Wasser verbrühte den armen zweijährigen
Knaben. Sein jämmerliches Geschrei tönt mir noch in den Ohren, ich sehe
noch vor mir das Entsetzen und den Schmerz meiner Eltern, als sie einige
Stunden später von Wiesbaden zurückkehrten. Der liebe Knabe starb unter
furchtbaren Qualen zwei Tage später. In seiner Agonie küßte er mit seinen
trockenen Lippen das Kruzifix, das neben seinem Bettchen hing. Es wurde
ihm in seinen Sarg mitgegeben, als er auf dem schönen Frankfurter Fried-
hof beigesetzt wurde. Solange wir in Frankfurt lebten, besuchten wir