Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

392 DIE HERBSTZEITLOSEN 
begegnet. Ich habe mit ihm und seiner Gattin einige interessante Wochen 
in einem belgischen Seebad verlebt. Sie war die hochgebildete Tochter 
des ungarischen Staatsmannes Eötvös, der wiederholt Kultusminister und 
dauernd Präsident der ungarischen Akademie war, auch einige nicht üble 
Romane geschrieben hat. Ihr Bruder, Rudolph Eötvös, war in der alten, für 
die Magyaren in der Tat guten Zeit in Transleithanien erst Kultusminister 
und dann gleichfalls Akademiepräsident. Ernst Plener war während einiger 
Jahre Sekretär an der Österreichischen Botschaft in London gewesen und 
hat gute, noch heute lesenswerte Bücher über englische Fabrikgesetzgebung 
und englische Baugenossenschaften geschrieben. Ich habe mit Ernst Plener 
viel über österreichische Verhältnisse gesprochen. 
Er und die meisten österreichischen Liberalen litten unter der wenig 
Dr. Eduard freundlichen Behandlung, die ihnen Fürst Bismarck zuteil werden ließ. 
Herbst 
Namentlich das gegen ihren Führer geprägte Wort von den „Herbstzeit- 
losen“ hat sie tief verletzt. Dr. Eduard Herbst, der Führer der Deutsch- 
Böhmen, im Bürgerministerium von 1867 bis 1871 Justizminister, dann 
Führer der vereinigten Linken im Reichsrat, hatte den Zorn des großen 
Kanzlers durch die Opposition erregt, die er der Andrässyschen Okku- 
pationspolitik, der Besetzung Bosniens und der Herzegowina und damit im 
Zusammenhange dem erneuten Ausgleich zwischen Zis- und Transleithanien 
machte. Es ist richtig, daß die Opposition von Herbst nicht nur Andrässy, 
sondern auch die österreichische Armee und vor allem den Kaiser Franz 
Josef tief verstimmte. Der alte Kaiser sah in der Erwerbung Bosniens und 
der Herzegowina ein spätes Aktivum seiner Regierung nach vielen Passiven, 
einen Trost für manche schmerzliche Einbuße der Vergangenheit, einen 
Trost für den Verlust der Vorherrschaft in Deutschland und in Italien, für 
die Abtretung des prächtigen lombardisch-venezianischen Königreichs, über 
dem während eines halben Jahrhunderts die schwarzgelbe Fahne geweht 
hatte. Die Verstimmung des Kaisers über die in der Form allerdings 
unnötig gehässige, vielfach kleinliche Opposition der von Herbst geführten 
Deutsch-Liberalen hat den Sturz des deutsch-liberalen Ministeriums 
herbeigeführt und Graf Eduard Taaffe in den Sattel geholfen, unter dessen 
die Tschechen und Polen begünstigender Politik des „„Fortwurschtelns‘“ es 
den Deutschen leider noch viel schlechter ging als vorher. Die Herbstzeitlose 
ist bekanntlich eine Giftpflanze, die im Spätherbst mäßig schöne Blumen 
und erst ein Jahr später spärliche Früchte treibt. Die Kritik des scharf und 
weit blickenden Genius war an und für sich in diesem Falle richtig. Aber 
Bismarck hätte ihr eine weniger bissige Form geben sollen, schon im 
Hinblick auf die Tschechen und Polen, die über den Peitschenhieb jubelten, 
der ihren Hauptgegner und mit ihm seine Stammesgenossen traf. Bismarck 
hat auch hier seiner Abneigung gegen „liberale Kammerhelden‘““ und
	        
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