Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

BOSNIEN UND DIE HERZEGOWINA 397 
Befriedigung entgegengenommen und geäußert habe: Jetzt erst könne er 
erklären, daß kein allgemeiner Krieg zu befürchten sei, dessen Möglichkeit 
in England so sehr beunruhigt habe. Am Tage nach seiner Rückkehr von 
Reichstadt suchte Andrässy den deutschen Botschafter Stolberg auf, um 
ihm vertraulich mitzuteilen, daß Österreich für den Fall eines russisch- 
türkischen Krieges wohlwollende Neutralität versprochen habe. Dafür habe 
sich Rußland damit einverstanden erklärt, daß im Falle eines Orientkrieges 
die Provinzen Bosnien und Herzegowina von Österreich-Ungarn besetzt 
und verwaltet werden sollten. 
Ich hatte mir nach meinem Eintreffen in Wien mit freundlicher Erlaubnis 
meines Vaters eine Lippizaner Fuchsstute gekauft, die ich jeden Morgen 
im Prater ritt. Ich begegnete dort nicht selten dem Grafen Andrässy. Er 
hatte Spaß an meiner Stute, die sehr flott ging. Er forderte mich nicht selten 
auf, mit ihm zu reiten, wobei er sich freundlich mit mir unterhielt. Am 
Morgen nach seiner Rückkehr aus Reichstadt trafen wir uns wieder zu 
Pferde. Mit sichtlichem Stolz, strahlend sagte er zu mir: „Stolberg wird 
Ihnen erzählt haben, daß ich mich mit den Russen arrangiert habe. Ich 
habe nicht die Dummheit wiederholt, die Buol während des Krimkrieges 
machte, wo er die Russen tief verletzte, ohne für Österreich einen realen 
Vorteil zu erzielen. Die Erwerbung von Bosnien und der Herzegowina ist 
in politischer, wirtschaftlicher und strategischer Hinsicht gleich erfreulich 
und wichtig. Namentlich Bosnien ist ein magnifikes, ein sehr entwicklungs- 
fähıges Land mit einer schön gelegenen Hauptstadt, Sarajewo. Wir knüpfen 
an die großen Traditionen von Prinz Eugen, dem edlen Ritter, an.“ Der 
k. und k. Minister ahnte nicht, daß in diesem „schön gelegenen“ Sarajewo 
ein Menschenalter später der Erbe der österreichischen Krone ein frühes 
und grausames Ende finden sollte. Er ahnte ebensowenig, daß diese Er- 
mordung der Ausgangspunkt für einen vierjährigen Krieg sein würde, einen 
Weltkrieg, den fürchterlichsten Krieg, der die Menschheit seit dem Dreißig- 
jährigen Kriege heimsuchte, und daß in diesem Weltkriege das alte habs- 
burgische Reich und mit ihm das Reich der Stefanskrone, Ungarn, und die 
madjarische Vorherrschaft zugrunde gehen würden. 
Die Türken haben die Ähnlichkeit mit manchen wilden Tieren, daß sie 
trotz einer gewissen Gutmütigkeit nach langer Passivität plötzlich in 
sinnlose Wut geraten können. Wie sie später, im 20. Jahrhundert, durch 
ihre bestialische Niedermetzelung der Armenier viele Sympathien ein- 
büßten, so richteten sie im Juni 1876 in Bulgarien ein Blutbad an, das in 
Europa große Erregung hervorrief. Namentlich in England entstand ein 
ungeheurer Lärm. Das englische Volk hat zweifellos menschenfreundliche 
Regungen und Gesinnungen. Es gibt kaum ein Volk, das so allgemeiner und 
tiefer Entrüstung fähig wäre. Aber diese Entrüstung pflegt sich nur in einer 
Türkisches 
Blutbad in 
Bulgarien
	        
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