ERSTE MITERLEBTE EREIGNISSE 25
einmal in der Woche sein Grab, und wenn wir vor dem kleinen Grabhügel
standen, waren wir überzeugt, daß über uns droben im Himmel unser
Brüderchen spiele, auf blumiger Wiese.
Drei Monate nach seinem Tode trat mein Vater mit der Nachricht ins
Zimmer, daß Kaiser Nikolaus von Rußland am 2. März 1855 gestorben
sei. Mein Vater war sehr erschüttert, denn er sah in dem Zaren Nikolai
Pawlowitsch den Hort der monarchischen und konservativen Ordnung der
Dinge in der Welt. Mein Vater stand mit dieser Auffassung nicht allein.
Um dieselbe Zeit umarmte im Berliner Schloß König Friedrich Wilhelm IV.
laut schluchzend den russischen Flügeladjutanten, der ihm die Trauerkunde
von dem Ableben seines Schwagers überbrachte. Der preußische Gesandte
beim Frankfurter Bundestag, Herr von Bismarck-Schönhausen, hatte dem
Zaren Nikolaus I. zu Ehren seinem am 28. Dezember 1849 geborenen
ältesten Sohn Herbert als zweiten Namen den Namen Nikolaus beigelegt.
Mein Vater war, wohl infolge seiner freundschaftlichen Beziehungen zu
Gortschakow, bei Kaiser Nikolaus gut angeschrieben, der ihn bei einer
Durchreise durch Frankfurt empfing und ihm persönlich das Großkreuz des
Annenordens überreichte. Der Tod meines armen Brüderchens und der Tod
des gewaltigsten Zaren, der seit Peter dem Großen auf dem russischen
Kaiserthron saß, sind diejenigen Ereignisse meiner ersten Lebensjahre,
deren ich mich besonders deutlich erinnere.
Auch zwei feierliche Gottesdienste im Frankfurter Dom habe ich nicht
vergessen; denn sie predigten eindringlich die Vergänglichkeit des Menschen
und die Unsicherheit seiner Hoffnungen und Entwürfe. Im März 1856
stiegen im Dom Dankgebete zum Himmel empor, der dem Kaiser Napo-
leon III. und seiner Gemahlin Eugenie Montijo nach dreijähriger Ehe einen
Sohn geschenkt hatte. Im August 1858 wurde das Tedeum für den erst-
geborenen Sohn des Kaisers Franz Josef abgehalten, der den Namen Rudolf
erhielt, in Erinnerung an den Kaiser Rudolf, von dem des habsburgischen
Stammes Hoheit ausgegangen war. Ich wohnte beiden Feierlichkeiten bei.
Meine französische Gouvernante, die mich zu der Feier für den Prince
Imperial begleitete, weinte vor Rührung und Begeisterung. Der französische
Gesandte, der den historischen Namen Salignac-Fenelon trug, strahlte.
Größer noch als bei dem Tedeum für den künftigen Kaiser der Franzosen
war die allgemeine Teilnahme bei der Feier für den Kronprinzen Rudolf,
denn Österreich war in Frankfurt sehr beliebt. Der Prince Imperial sollte
unter den Speeren und Messern von Zulukaffern verbluten, der Erbe der
österreichischen, ungarischen, böhmischen, lombardischen, venezianischen,
dalmatischen, kroatischen, slawonischen, galizischen, lodomerischen, illy-
rischen und noch einiger anderer Kronen in einer traurigen Liebes-
katastrophe untergehen. Daß mit des Geschickes. Mächten kein ewiger
Ableben
des Zaren
Nikolaus
Festgottes-
diensteimDom