BISMARCKS ZWEI WAHRHEITEN 417
neuer Beweis, wie gefährlich das autokratische System ist, wenn der
Autokrat nicht sehr besonnen, sehr vorsichtig und völlig Herr seiner
Nerven ist.
Auch Fürst Bismarck hatte sich bereits geäußert. Er wählte hierzu
jedoch nicht die Tribüne des Reichstags, sondern sprach sich über die
orientalischen Verwicklungen mit souveräner Unbefangenheit bei einem
Diner aus, das er dem Präsidium des Reichstags in seinem Hause gab. Er
verzweifele noch nicht an der Erhaltung des Friedens. Sollte es trotzdem
zum Kriege kommen, so würden Rußland und die Türkei wohl nach kurzer
Zeit des Haders müde werden. Dann könne Deutschland vielleicht mit
Aussicht auf Erfolg vermitteln. Jetzt an Rußland einen Rat zu erteilen,
wäre mißlich, denn das könne die russische Nation verstimmen, und das
würde vielschlimmer sein alseine vorübergehende Differenzmit derrussischen
Regierung. England werde schwerlich einen offenen Krieg mit Rußland
führen, sondern höchstens einen offiziösen wie Rußland in Serbien. Wenn
Österreich in den Krieg gezogen werde, wenn für dessen Bestand sich
Gefahr zeigen sollte, so sei es der Beruf Deutschlands, für den Bestand
Österreichs und überhaupt für den Bestand der jetzigen Landkarte einzu-
stehen. Deutschland sei „die Bleigarnierung‘, welche die Figur immer
wieder zum Stehen bringe. Österreich habe eine große Lebenskraft, eine
größere, als manche meinten. Das habe er, Bismarck, auch Lord Salisbury
neulich bei ihrer Begegnung gesagt, und das werde sich zeigen, wenn
Kaiser Franz Josef unter Umständen sich selbst an seine Völker wenden
sollte. In einer offiziösen Korrespondenz aus Berlin faßte die „Augsburger
Allgemeine Zeitung‘ die Nachtischäußerungen des Fürsten Bismarck kurz
dahin zusammen: „Deutschland versucht vor allem den Frieden zu er-
halten, wenn dennoch der Krieg ausbricht, diesen Krieg zu lokalisieren,
wenn sein Verlauf die Interessen Österreichs bedrohen sollte, für Österreich
einzutreten.“
Meine kluge Petersburger Freundin, Missy Durnow, pflegte zu sagen, es
gebe für einen Diplomaten zwei Arten von Wahrheit: die Wahrheit, die er
in Reden, Unterhaltungen und Noten ausspreche, und dann die Wahrheit,
die er für sich behalte. Diese Wahrheit nannte Madame Durnow „la verite
de derritre la t&te‘. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß
Bismarck die Besetzung Konstantinopels durch die Russen nicht ungern
gesehen hätte. Er hatte auch nichts dagegen, daß die Engländer ihre Flotte
in die Dardanellen einlaufen ließen. Er fand die Politik des Grafen Andrässy
lahm und äußerte vier Jahre später in meiner Gegenwart zu seinem Sohn
Herbert: „Man pflegt zu sagen, in jedem Ungarn stecke ein Husar und ein
Advokat. Nun, im Jahre 1877 operierte Andrässy mehr wie ein Advokat als
wie ein Husar.‘‘ Fürst Bismarck war aber viel zu weise und viel zu geschickt,
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Äußerungen
Bismarcks