Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Das 
griechische 
Parlament 
Englische 
Besuche 
420 DIE NACHKOMMEN DES DEMOSTHENES 
lässigkeit, und gleichzeitig kam der russische Minister des Äußern, Herr von 
Giers, dahinter, daß Saburow auch gegen ihn intrigiere. Kaiser Alexan- 
der III., eine gerade Natur, entschied: „Saburow est une dangereuse 
canaille qu’il faut supprimer.‘“ Saburow wurde in Ungnade seiner Botschaft 
enthoben und verschwand im Dunkel des russischen Senats. Mit dem tür- 
kischen Gesandten Photiades hatte ich manche interessante Unterhal- 
tung. Er war, wie viele Beamte der Pforte, Grieche und vertrat mit Eifer 
und nicht ohne Feinheit die Ansicht, daß es dem hellenischen Element 
unter ottomanischer Hoheit am besten ginge. So könne das Hellenentum 
nicht nur auf dem Balkan durch seine höhere Kultur sich Bulgaren, Serben 
und Rumänen assimilieren, sondern auch in Kleinasien seinen Besitzstand 
erweitern. Nach dem Zerfall der Türkei würden die Hellenen die Beute der 
Slawen und Rumänen werden. 
Das griechische Parteigetriebe mutete den fremden Beobachter an wie 
eine Satire auf alles, was Parlamentarismus heißt. Ich habe oft an den grie- 
chischen Parlamentarismus zurückdenken müssen, als in Deutschland nach 
dem Sturz der Monarchie die damals regierenden Parteien: Zentrum, 
Demokratie und Sozialdemokratie, ihre ersten täppischen Gehversuche 
unternahmen. Ich habe in Athen erlebt, daß binnen achtundvierzig Stun- 
den drei Kabinette nacheinander gebildet wurden, sofort nach ihrer Bildung 
ein Mißtrauensvotum erhielten, zurücktreten mußten, und daß das Spiel 
von neuem begann. Die absolute Abhängigkeit aller Angestellten von der 
gerade am Ruder befindlichen Parteiregierung ging so weit, daß, wenn ein 
neues Kabinett ins Amt trat, auch die polizeilich konzessionierten Stiefel- 
putzer gewechselt wurden, die in dem staubigen Athen an jeder Straßen- 
ecke ihres Amtes walteten. 
Wie standen Regierung und Volk zu der entscheidenden Frage: Soll 
sich Griechenland, dem Beispiel der Rumänen folgend, an dem Kriege 
gegen die Türkei auf russischer Seite beteiligen oder besser neutral bleiben ? 
Der Wunsch der griechischen Regierung und aller Griechen war, möglichst 
viel zu erraffen und möglichst wenig zu riskieren. Als vor dem witzigen 
französischen Gesandten Tissot ein griechischer Politiker mit der Zungen- 
fertigkeit und dem Pathos der Nachkommen des Demosthenes und Aeschines 
ausrief, que les Grecs voleraient tr&s prochainement ä la frontiere, meinte 
Mr. Tissot trocken: „Ils voleront oü et quand ils pourront, certainement, 
mais ils ne voleront pas a la frontiere.“ 
Im Frühjahr 1877 traf die Prinzessin von Wales zu einem längeren 
Besuch bei ihrem Bruder in Athen ein. Sie lief gern und sehr graziös Roll- 
schuh. Im Schloßgarten wurde ein Skating-rink eingerichtet. Ich hatte oft 
die Ehre, dort mit der Frau Prinzessin zu laufen. Wie schon als Kind und 
bis in ihr hohes Alter war sie von immer gleicher Liebenswürdigkeit und
	        
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