Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

424 DER OLYMPISCHE ZEUS 
erschienene, dreibändige, viel gelesene griechische Geschichte und ein 
schätzenwertes Buch über den Peloponnes geschrieben. Er war Direktor 
des Antiquariums im Berliner Museum und ständiger Sekretär der Philo- 
logisch-Historischen Klasse der Berliner Akademie. Er war nicht nur ein 
berühmter Archäologe, sondern auch ein liebenswürdiger Mann von besten 
Formen und anregender Konversation. Nur eins störte mich an ihm: sein 
fortgesetztes Sticheln und Schelten auf Heinrich Schliemann, der, 
nachdem er seit 1870 mit Erfolg Ausgrabungen in Troja durchgeführt hatte, 
nun anfıng, in Mykenä den Spuren der fluchbeladenen Atriden nachzu- 
gehen und ihre Heiligtümer aus dem Schoß der Erde ans Tageslicht zu 
befördern. Es schmerzte mich, daß ein deutscher Gelehrter von Bedeutung 
und Ruf wie Curtius aus einem vielleicht etwas naiven, aber von heiligem 
Eifer für die Wissenschaft und von feuriger Begeisterung für die Antike 
erfüllten deutschen Idealisten wie Heinrich Schliemann einen Pfuscher und 
Schwindler machen wollte. Man brauchte kein Diplomat zu sein, um zu 
merken, daß aus jedem seiner Worte Eifersucht gegen den erfolgreichen 
Konkurrenten auf dem Felde der Ausgrabungen sprach. 
Aber als ich erst auf der flachen Ebene stand, die im Norden vom Kro- 
nos-Hügel, im Süden vom Alpheios und seinem Nebenfluß, dem Kladeos, 
eingeschlossen wird, fühlte ich mich aller irdischen Misere entrückt. Hier 
stand der Tempel des Zeus, des olympischen Zeus. Pausanias aus Magnesia, 
der fast zweihundert Jahre nach Christi Geburt Olympia besuchte, hat 
uns in seiner Periegesis, einer Art von klassischem Baedeker, den Zeustempel 
beschrieben. In der Cella befand sich die Statue des Gottes. Zeus war dar- 
gestellt sitzend auf einem Thron aus Cedernholz, der mit Ebenholz ausgelegt 
und reichlich mit Edelsteinen und Skulpturen verziert war. Das Antlitz der 
Figur, die Brust, der entblößte Teil des Oberkörpers und die Füße waren 
aus Elfenbein gebildet. Die Locken des Haupt- und Barthaares waren aus 
gediegenem Gold. Auf der einen ausgestreckten Hand hielt Zeus eine 
Statue der Nike, auch aus gediegenem Gold; in dem anderen Arm ruhte der 
aus einer Verbindung verschiedener edler Metalle geformte Zepter. Der den 
Unterkörper des Gottes umhüllende Mantel war ebenfalls aus Gold. Aber 
allen Reichtum der kostbaren Materialien und alle sonstige Pracht des 
Tempels übertraf nach der Schilderung des Pausanias die Macht der Ge- 
stalt selbst. Sie war die vollkommenste Erscheinung der Gottheit, wie sie 
den Griechen vorschwebte. „Wer den olympischen Zeus nicht erblickt hat, 
ist unglücklich“, lautete ein griechisches Sprichwort. Der olympische Zeus 
war mit der, auch aus Gold und Elfenbein geformten Statue der Athena 
Parthenos auf der Akropolis das Meisterwerk des größten griechischen 
Bildhauers, des Phidias aus Athen. Als er diese Verkörperung der Gottheit 
schuf, schwebten ihm die gewaltigen Verse der Ilias vor:
	        
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