Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

430 AM ILYSSOS 
in Athen auch auf nichtpolitischem Gebiet Eindrücke empfangen, die mich 
durch mein ganzes Leben begleiteten. Wenn ich auf das Halbrund des 
Dionysos-Theaters blickte, das sich wie eine Muschel in die Akropolis ein- 
bettet, Berge und Meer im Hintergrund, so wurden mir die Gestalten des 
Äschylos, Sophokles und Aristophanes lebendig. Und mit mehr Verständnis 
und Genuß als vordem las ich am Abend in meiner stillen Zelle den ge- 
fesselten Prometheus und die Perser, den Philoktet und die Antigone. Ich 
ging mit dem Aristophanes in der Hand zum Dionysos-Theater, und die 
Orchestra belebte sich mir mit den Gestalten des größten aller Lustspiel- 
dichter. Wie echt, breitbeinig und gemein steht in den „Rittern‘“ der un- 
sterbliche Demagoge da, in dem sich von dem Gerber Kleon bis in unsere 
Tage die Volksverführer und Volksverderber aller Völker und aller Zeiten 
bespiegeln können. 
Just eben drum wirst du der Mann des Tags, 
Weil du gemein bist, frech und pöbelhaft. 
Du hast ja, was 
Ein Demagog nur immer braucht: die schönste 
Brüllstimme, du bist ein Lump von Haus aus, Krämer, 
Kurzum ein ganzer Staatsmann. 
Am grünen Ufer des Ilyssos, unter Platanen, die nicht anders aussehen 
als die Bäume, die dem Plato Schatten spendeten, las ich die „‚Apologie“ 
und den „Phädon‘“, den „Theätetos“ und den „Georgias“‘. Wie gern griff 
ich am Abend zum „Ödipus auf Kolonos“, wenn ich am Vormittag den 
Hügel von Kolonos aufgesucht hatte, der einst heilig war, von Rebe, 
Lorbeer, Öl umgrünt, und wo jetzt dem 1840 verstorbenen deutschen 
Philologen Ottfried Müller ein Grabmal errichtet wurde. Von neueren 
Dichtern konnte ich in Athen außer Goethe, der in jedem Lande, in jeder 
Lage und bei jeder Stimmung zu uns spricht, nur Friedrich Hölderlin lesen, 
den Schwaben, in dem mehr als in irgendeinem andern Modernen der Geist 
des alten Hellas lebt. 
Ich hatte mir bald nach meinem Eintreffen in Athen einen türkischen 
Doppelpony gekauft, der mich willig ans Meer, zum ältesten Hafen von 
Athen: zum Phaleron, und zu den Marmorbrüchen des Pentelikon trug. Ich 
fuhr zu Schiff nach Ägina, vorüber am Grabe des Themistokles, der er- 
greifendsten Begräbnisstätte der Welt, wie das Mausoleum des Theoderich 
bei Ravenna das erbabenste aller Grabdenkmäler ist. Am Abend stand ich 
in Ägina vor dem roten Mohn und den breiten Blättern des scharf duftenden 
Aspbhodelos auf den Trümmern eines alten griechischen Tempels. Ägina ruft 
große Erinnerungen wach. Es ist die Insel des Äakos, der ein Sohn des Zeus 
und der Großvater des Achilleus war, also, wie sich der gute Großherzog
	        
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