Abreise
Wieder
in Berlin
432 ZUM LETZTENMAL AUF DER AKROPOLIS
aber nicht allein ein hervorragender Astronom, sondern auch ein tiefer
Denker. Oft habe ich ihn auf seiner Sternwarte aufgesucht, nicht nur um
über die Gebirge des Mondes, das Zodiakallicht und über Erdbeben belehrt
zu werden, sondern auch um ihn über Kant und Wilhelm von Humboldt zu
hören. Dem Mond-Schmidt verdanke ich es, daß ich schon früh von der
Größe und Tiefe der Kantschen Philosophie wenigstens einen Hauch ver-
spürte. Auch über Goethe habe ich manches gute, erklärende Wort von ihm
gehört. Mit meinem Vater und mit Professor Hermann Adalbert Daniel in
Halle hat der Mond-Schmidt auf meine Allgemeinbildung wohl den
stärksten Einfluß ausgeübt. Merkwürdig war, dafs der Mann, der über
Erschütterungen der festen Erdrinde und vulkanische Eruptionen viel
nachgedacht und geschrieben hatte, vor Gewittern eine kindliche Angst
empfand. Er hatte sich im Keller seines Hauses ein Zimmer eingerichtet,
wo er sich vor den Blitzen des Zeus am sichersten glaubte. Dorthin zog er
sich zurück, wenn sich der Himmel mit Wolken bedeckte.
So stieg ich denn noch einmal zur Akropolis empor. Zum letztenmal
stand ich vor dem ernsten Parthenon, dem anmutigen Erechtheion, blickte
auf Athen, auf die alten Ölwälder der Kephissosebene, auf den Pentelikon
und den Hymettos, auf Salamis und Ägina, auf das kühne Vorgebirge von
Sunion und auf die fernen Berge des Peloponnes. Am Tage vor meiner
Abreise wurde ich vom König in längerer Privataudienz empfangen. „Ich
hoffe‘, sagte er zu mir, „daß Sie an mich und mein Land gute Erinnerungen
mitnehmen. Übermitteln Sie Ihrem Vater meine herzlichen Grüße. Er ist
ein alter Freund meiner Mutter, mit der er viele Jahre im Briefwechsel
gestanden hat. Es gibt Leute, die behaupten, daß das Londoner Protokoll
vom Mai 1852, das meinen Vater zum Erben des kinderlosen Königs Fried-
rich VII. für die dänische Monarchie erklärte, von ihm redigiert worden
sei. Seien Sie bei Ihrem Vater und, soweit es Ihnen möglich ist, auch beim
Fürsten Bismarck mein Fürsprecher.‘
Ich habe mich dieses Auftrages während der Berliner Kongreßver-
handlungen entledigt. König Georgios ist mir bis zu seinem Tode ein
freundlicher Gönner geblieben. Wenn er nach Berlin kam, suchte er mich
auf. Es ist mir gelungen, ihn mit Kaiser Wilhelm II. auszusöhnen, der
ihm früher nicht wohlgesinnt war, aber, sprunghaft wie so oft, seitdem
er das Achilleion auf Korfu erworben hatte, für die Griechen und den
Griechenkönig schwärmte.
Als ich von Athen im Juni 1878 wieder in Berlin eintraf, fand ich
meinen Vater wie alle Welt unter dem Eindruck zweier Attentate auf
unsern ehrwürdigen Kaiser. Als dieser am 11. Mai 1878, begleitet von seiner
einzigen Tochter, der Großherzogin Luise von Baden, im offenen Wagen
seine gewohnte Spazierfahrt Unter den Linden und nach dem Tiergarten