438 VIER ERDBEEREN
Handtasche zu holen, und ließ die Liebesbriefe, die sich darin befanden,
vor meinen Augen verbrennen.
Inzwischen war Langenbeck erschienen. Wie von allen großen Ärzten
ging auch von ihm ein Gefühl der Sicherheit und Ruhe aus. Er war
während des Deutsch-Französischen Krieges Generalarzt der Armee ge-
wesen. Nachdem er mich genau untersucht hatte, sagte er zu mir: „Im
Gegensatz zu meinem Kollegen Leyden halte ich die Tracheotomie noch
nicht für unbedingt geboten. Vielleicht können wir um die Operation
herumkommen. Voraussetzung dafür ist, daß die Abschwellung von selbst
eintritt. Das kann nur geschehen, wenn Sie einige Stunden ruhig schlafen.“
Mit freundlichem Ausdruck, aber ernst und bestimmt fügte er hinzu: „Ihr
Herr Vater hat mir gesagt, daß Sie bei den Königshusaren gestanden und
den Winterfeldzug mitgemacht haben. Ich habe auch einen Sohn bei den
Königshusaren gehabt. (Ein Sohn des großen Chirurgen war in der Tat aus
meinem alten Regiment hervorgegangen. Er wurde später Komman-
dierender General des Il. Armeekorps. Als solchem begegnete ich ihm, als
ich im Januar 1900 auf der Werft des Vulkan in Stettin dem Schnell-
dampfer „Deutschland“ die Taufrede hielt.) Alle Königshusaren haben gute
Nerven. Ich erwarte, daß Sie jetzt einige Stunden wie ein Murmeltier
schlafen werden.“ Dann legte er mir die Hand auf den Kopf und ging. Ich
wandte den Kopf gegen die Wand, betete ein Vaterunser und schlief bald
fest ein.
Inzwischen hatte meine gute Mutter den uns befreundeten General-
superintendenten Büchsel, den Geistlichen der Matthiaskirche, die wir zu
besuchen pflegten, gebeten, meiner fürbittend zu gedenken. Sie hat mich
oft daran erinnert, daß die Wendung zum Besseren gerade in der Stunde
eingetreten sei, wo Büchsel meiner im Gebet gedacht hatte. Sie fügte immer
hinzu: „Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“ (Jac. 5,15.)
Als Langenbeck nach einigen Stunden wiederkam, war er zufrieden mit
mir, „Es geht besser!“ meinte er. „Nun wollen wir in beide Mandeln und in
das Zäpfchen einen tüchtigen Einschnitt machen.“ Die Inzision erfolgte.
Dann holte Langenbeck aus einer kleinen Düte vier schöne Erdbeeren
heraus. „Die schickt Ihnen Seine Majestät der Kaiser“, fügte er hinzu.
„Ich habe ihm von Ihrer Erkrankung erzählt. Er läßt Ihnen gute Besserung
wünschen und schickt Ihnen diese Erdbeeren von den Früchten, die man
ihm heute zu seinem Frühstück an sein Bett gebracht hat. Unser alter Herr
hat sich dabei freundlich über Sie ausgesprochen. Er erinnerte sich, daß
General Lo&, Ihr früherer Kommandeur, Sie ihm gegenüber gelobt habe.“
Wenn ich an meine schwere Erkrankung von 1878 zurückdenke, so sage
ich mit dem guten Joachim Neander, dem Freund des großen Pietisten
Spener: