Gortschakow
wird
ridikülisiert
Disraeli
44,6 DER REICHSHUND TYRAS
haben würde. ‚Sofort bringe ich Sie an‘, erwiderte mir Herr Blowitz, ‚mit
dreißigtausend Franken jährlich.“ Das hat damals mein Selbstvertrauen
gestärkt, und noch heute macht die Erinnerung mir Vergnügen*.“ Es lag
in der Natur der Dinge, daß Blowitz als naturalisierter Franzose in erster
Linie französische Interessen verfolgte, in zweiter als Korrespondent der
„Limes“ englische Gefühle schonte. Als er während des Berliner Kongresses
bald die persönliche Spannung zwischen Bismarck und Gortschakow
erkannt hatte, rieb er publizistischen Pfeffer in die ihm erfreuliche Wund-
stelle und legte bei der Wiedergabe seiner einmaligen Unterredung mit
Bismarck, die er nach und nach zu einem wahren Bandwurm von Korre-
spondenzen in der „Times“ verarbeitete, dem deutschen Reichskanzler
unfreundliche, ja boshafte Äußerungen über Gortschakow in den Mund.
Persönliche Empfindungen politisch einflußreicher Personen, mögen sie
nun Staatsoberhäupter oder Minister, Deputierte oder Publizisten sein, ihre
Sympathien oder Antipathien, vor allem ihre Rankünen waren immer von
erheblichem Einfluß auf die Beziehungen der Völker zueinander und damit
auf die Gestaltung ihrer Zukunft. Sie werden es auch bleiben, denn der
Mensch ist im Grunde immer der gleiche, mag er sich auf dem Parkett der
Höfe bewegen oder es vorziehen, abends auf seiner Stammkneipe bei einer
kühlen Blonden mit einer Strippe einen Skat zu dreschen.
Es war das Pech von Gortschakow, daß ihm, als er einmal abends im
Salon der Fürstin Bismarck erschien, der Reichshund Tyras zwischen die
Beine lief und er der Länge nach hinfiel. Aber daß dieser kleine Vorfall
sofort in die Presse gebracht und dort mit Behagen breitgetreten wurde, um
den achtzigjährigen Greis zu ridikülisieren, war weder geschmackvoll noch
geschickt. Bismarck sagte die Wahrheit, wenn er in manchen Reden, in
vielen Erlassen nach St. Petersburg und in zahllosen Unterredungen
betonte, er habe auf dem Berliner Kongreß die russischen Interessen so
eifrig vertreten und gefördert, daß er sich den Andreasorden verdient haben
würde, wenn er ihn nicht, und zwar mit Brillanten, bereits besessen hätte.
Aber gerade für das politische Leben gilt das Wort des griechischen
Sophisten, daß der Schein oft wichtiger sei als die Wirklichkeit. Unter
eifriger Nachhilfe des verärgerten und leider auch in seinem hohen Alter
und trotz seines körperlichen Verfalls für Intrigen und Bosheiten noch
immer geschickten Gortschakow gelang es, dem russischen Publikum ein-
zureden, daß Bismarck auf dem Berliner Kongreß Rußland verraten und
geschädigt habe.
Der bedeutendste der Teilnehmer am Kongreß war nach Bismarck —
longo sed proximus intervallo — zweifellos Disra&li. Es spricht für die
* Fürst Bülows Reden, Große Ausgabe III, S. 332; Kleine Ausgabe V, S. 260.