Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

DIZZY 447 
Großzügigkeit des englischen Volkes, daß der Enkel eines aus Venedig nach 
England eingewanderten israelitischen Kaufmanns nicht nur zum eng- 
lischen Premierminister, sondern auch zum Führer der stolzesten Aristo- 
kratie der Welt aufstieg. Der Marqueß von Salisbury und Lord Odo Russel, 
beide Sprossen alter historischer Geschlechter, die schon unter Queen 
Elizabeth geglänzt hatten, ordneten sich willig Disra&li unter. Es spricht 
aber auch für die Anziehungskraft und Assimilationsfähigkeit der Eng- 
länder, daß es keinen englischeren Engländer gab als den zum Earl of 
Beaconsfield erhobenen Benjamin Disraeli. In seiner, dem großen franzö- 
sischen Historiker Augustin Thierry gewidmeten schönen Studie über 
Tacitus sagt Charles Louandre: „Aux yeux de Tacite tout le mouvement 
de l’histoire n’a qu’un but, la grandeur de Rome, au dela de cet horizon il 
n’y a que le vide et le neant.“ Wie Tacitus Römer war, so war Disraßli 
Engländer. Ganz Engländer und nur Engländer. Jedes seiner Worte war 
für das englische Publikum berechnet. Nur englische Interessen, englische 
Wünsche und Vorurteile bestimmten sein Tun. Bei großer Höflichkeit und 
Liebenswürdigkeit, bei den besten Formen nahm er in Wirklichkeit gar 
keine Rücksicht auf nichtenglische Empfindungen und Gesichtspunkte. 
Seine äußere Erscheinung war originell. Er trug Schmachtlocken wie ein 
galizischer Jude. Weit davon entfernt, seine jüdische Abkunft zu ver- 
stecken, war er stolz auf sie. Als einmal im House of Commons auf sie an- 
gespielt worden war, hatte schon der junge Benjamin Disraeli geantwortet, 
er sei glücklich, dem Volke anzugehören, dessen äußere Hülle unser Herr 
und Heiland getragen habe, während er auf Erden wandelte. Er war 
übrigens mit zwölf Jahren getauft worden. Disraeli verwandte sehr viel 
Sorgfalt auf seine Toilette. Er war stets elegant gekleidet, nach der neuesten 
englischen Mode, a true british gentleman. 
Der Earl of Beaconsfield war der einzige, der sich bei den Sitzungen 
des Kongresses nicht der französischen Sprache bediente, die er ebenso- 
wenig sprach wie irgendein anderes fremdes Idiom und kaum verstand. 
In dieser Beziehung glich er Matthias Erzberger. Das war aber auch 
die einzige Ähnlichkeit zwischen dem englischen Lord und dem Ab- 
geordneten von Buttenhausen. Die Reden des Earl of Beaconsfield wurden 
im Sekretariat des Kongresses für das Protokoll ins Französische über- 
setzt. Er änderte nie etwas an den Übersetzungen, sondern meinte nur 
lächelnd: ‚I am glad to have said such nice things.‘ Bismarck war von 
Hause aus gegen Disra&li eingenommen. Aber auch die Königin Victoria 
hatte einst starke Vorurteile gegen Disra&li gehabt, und es war ihm doch 
gelungen, die Gunst of Her most gracious Majesty zu gewinnen. Selbst 
Bismarck war bald unter seinem Zauber. „Dizzy‘, wie das englische Volk 
Disra&li nannte, war ein großer Seelenfänger.
	        
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