Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Camille 
Barrere 
Graf Roger 
du Nord 
466 DER FREUND VON THIERS 
erstenmal den drei Brüdern Charmes, alle drei hochbegabte Publizisten, 
deren Artikel im „Journal des Debats“ und in der „Revue des Deux 
Mondes“ viel beachtet wurden. Hier lernte ich auch die beiden Brüder 
Cambon kennen, von denen Paul Präfekt in Lille, Botschafter in Kon- 
stantinopel und London, Jules Präfekt in Lyon und Botschafter in Madrid 
und Berlin wurde. Sie stellten mir einen jungen Journalisten vor, von dem 
sie mir sagten, er habe „un dröle de passe‘, aber Geist, Gewandtheit und 
vor allem einen brennenden Ehrgeiz. Er hieß Camille Barrere. Er hatte 
sich als junger Schwärmer an der Pariser Commune beteiligt und war 
damals Mitarbeiter des „„Pere Duchesne““ gewesen, der während der Com- 
mune die Tradition von Marat wieder aufnahm. Es wurde behauptet, daß 
Barrere den berüchtigten Artikel geschrieben hätte, in dem der „Pere 
Duchesne“ den Kopf des Erzbischofs Darboy von Paris verlangte. Dieser 
wurde wirklich von den Kommunisten erschossen. Barrere dagegen hatte 
mit Falstaff gedacht, daß ‚‚discretion the better part of valour“ sei, und 
war im Mai 1871 rechtzeitig nach London entflohen. Dort hatte er nicht nur 
seine Vergangenheit in Vergessenheit gebracht, sondern auch perfekt 
Englisch gelernt und in dem großartigen englischen Milieu seinen politischen 
Horizont erweitert, was ihm bei seiner späteren diplomatischen Karriere 
zu großem Vorteil gereichte. 
Ein dankbares Andenken bewahre ich auch dem damals schon be- 
jahrten Grafen Roger du Nord. Frankreich gilt besonders als das Land 
der eleganten und pikanten Frauen. Ich möchte es aber auch für das Land 
halten, wo man besonders viele gut erhaltene und dabei gereifte und kluge 
alte Herren findet. Graf Roger du Nord war einer der nächsten Freunde von 
Adolphe Thiers gewesen. Er pflegte ihn „le sauveur de la France“ zu 
nennen und hielt ihn neben dem Kardinal Richelieu, Colbert und dem 
Fürsten Talleyrand für den größten Staatsmann Frankreichs. Über alle 
drei stellte er Henri IV. Über seinem Schreibtisch hing ein schönes Bild, 
das den populärsten französischen König darstellt, wie er in die Hauptstadt 
Frankreichs einzieht, nachdem er erklärt hat, ,‚que Paris valait bien une 
messe‘. Während der alte Graf das Bild betrachtete, sagte er einmal zu mir: 
„Voilä le vrai genie politique! La politique demande des concessions et des 
combinaisons.‘‘ An Thiers rühmte er die politische Voraussicht, den poli- 
tischen Mut und die politische Energie. Er habe 1859 den Französisch- 
Österreichischen Krieg gemißbilligt und vorausgesehen, daß die „sogenannte“ 
Befreiung Italiens Frankreich einen unbequemen Nebenbuhler namentlich 
im Mittelmeer erwecken würde. Thiers habe in seiner Rede vom 3. Mai 1866, 
die zu den größten politischen Reden gehöre, die je gehalten worden seien, 
vorausgesagt, daß der damals am Horizont stehende Krieg zwischen 
Preußen und Österreich im Falle eines preußischen Sieges für Frankreich
	        
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