DIE COMMUNE 467
üble Folgen haben könnte. Er habe die Gefährlichkeit von Cavour und
Bismarck für Frankreich rechtzeitig erkannt. Er habe, als Napoleon III.
mit Ollivier und Gramont in der ungeschicktesten Weise im Juli 1870
Preußen und dem Norddeutschen Bund den Krieg erklärte, ganz allein
gegenüber einer ihn unterbrechenden und beschimpfenden Kammer die
Sprache der Vernunft geführt. Er habe während des Krieges durch die von
ihm in seinem hohen Alter und mitten im Winter nach St. Petersburg, Wien
und Rom unternommene Reise Stimmung für Frankreich gemacht, endlich
durch den rechtzeitigen Frieden mit Deutschland die Zukunft Frankreichs
gerettet. Sein Hauptverdienst aber sei die Energie gewesen, mit der er im
Frühjahr 1871 den sozialistischen Communeaufstand niedergeworfen habe.
„Als Thiers damals Tausende von Aufständischen an die Wand stellen und
füsilieren ließ, andere Tausende nach Neu-Kaledonien deportieren ließ,
wahrte er seinem Lande die Möglichkeit einer friedlichen und ver-
ständigen inneren Entwicklung. Genau wie der Arzt dem Kranken das
Leben verlängert, wenn er rechtzeitig eine notwendige Operation vor-
nimmt.“ So Graf Roger du Nord. Ich aber meine, es ist ein glänzender
Beweis für den Bürgersinn und das Staatsbewußtsein der Franzosen, daß
sie den Chirurgen, der diese heilsame, aber sehr blutige Operation vornahm,
unter ihre größten Staatsmänner rechnen und ihm nach seinem Tode in
Paris und in vielen anderen Städten Denkmäler über Denkmäler errichtet
haben. Der Deutsche singt: „Deutschland, Deutschland über alles!“ Den
Franzosen geht Frankreich, sein Interesse, seine Welt- und Machtstellung,
seine Größe und sein Ruhm wirklich über alles. Gerade in dieser Beziehung
war Adolph Tbiers ein echter, ein typischer Franzose. Vor und nach 1871
hat er nie aufgehört, an die „„Preponderance legitime de la France“, an die
providentielle Vorherrschaft Frankreichs in Europa zu glauben. Er war
ziemlich unzugänglich für religiöse Gefühle, un fils de Voltaire. Aber sein
Glaube an Frankreich hatte etwas Religiöses.
Bei dem Grafen Roger du Nord lernte ich Gambetta kennen. Er war
damals vierzig Jahre alt. Er hatte auf den ersten Blick nichts Imponieren-
des. Im Verhältnis zu seiner mittleren Größe war er allzu beleibt, seine
Bewegungen waren abrupt und vulgär. Jules Grevy und Jules Ferry,
Waldeck-Rousseau und Freycinet zeigten in ihrem Auftreten mehr Würde.
Wie der Kyklop der Odyssee hatte Gambetta nur ein Auge. Daß er sich als
junger Mensch das andere selbst ausgebohrt hätte, um der Militärpflicht zu
entgehen, war eine boshafte Erfindung seiner Gegner. Er hatte das eine
Auge als Kind bei einem Unfall verloren. Alles in allem war die äußere
Erscheinung des Mannes, der die ‚‚defense nationale“ geleitet hatte, nicht
gerade distinguiert. Aber der Gambetta auf der Tribüne des Corps legislatif
war ein anderer als der Gambetta im Frack in einem Salon. Gambetta war
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Gambetta