DER EINDRUCK HAMBURGS 31
die Nacht verbracht, da die Weiterfahrt erst am nächsten Morgen erfolgen
konnte. Damit wollte der Staat Hannover die Reisenden zwingen, die
Gasthöfe seiner Hauptstadt aufzusuchen. Die meisten Reisenden zogen es
vor, die Nacht im Wartesaal des Bahnhofs zu verbringen. Lebhaft steht mir
dieser Wartesaal vor Augen, seine Bänke, die mit rotem Plüsch bezogen
waren, die Reisenden, die, unter Schimpfen auf die erzwungene Unter-
brechung ihrer Reise, vergeblich zwischen ihrem Handgepäck zu schlafen
versuchten. Über den blinden König Georg von Hannover und sein
mystisch-absolutistisches Gottesgnadentum fiel manches bittere Wort.
In der Morgenfrühe fuhren wir durch die Lüneburger Heide. Sie ist jetzt
das Ziel vieler Vergnügungsreisenden, Maler haben sich dort nieder-
gelassen, um sie zum Gegenstand ihrer besonderen Studien zu machen. Sie
ist in der Mode. Sie nicht schön zu finden, gilt für einen Mangel an Geist und
ästhetischer Bildung. Vor sechzig Jahren war es anders. Die Lüneburger
Heide war übel verrufen. Es hieß im Scherz, als Gott zu seiner Schöpfung
gesagt habe: Siehe, es ist alles sehr gut, da hätte er gerade den Daumen auf
die Heide gesetzt. Es wurde auch behauptet, daß der Rheinländer bete:
„Ich danke dir, Gott, daß ich nicht wohne in Sibirien oder auch in der
Lüneburger Heide.“ Ein französischer Reisender hatte mit französischer
Unwissenheit die kleinen, mit schwärzlicher oder brauner Wolle bekleideten
Schafe der Heide, die sogenannten Heidschnucken, für Menschen gehalten
und von einem „peuple sauvage‘“ gesprochen, das die Lüneburger Heide
bewohne und die Reisenden in Schrecken versetze. Es galt für einen Fort-
schritt, als in den fünfziger Jahren ein viel gelesener Belletrist die Lüne-
burger Heide „langweilig bis zum Interessanten‘“ nannte, denn noch August
Platen hatte seinen „„Romantischen Ödipus“ mit den tonmalenden Worten
begonnen:
Das ist die schöne Lüneburger Ebene,
Wohin des Rufs Trompete mich von fern gelockt.
Endlich hatten wir Reisende die Stadt Harburg erreicht, die als auf-
blühende Nebenbuhlerin von Hamburg galt, seitdem Hannover mit neu
angelegtem Seehafen und dem Bau von Dampfschiffen ihre Entwicklung
eifrig förderte. Harburg wurde von Hannover begünstigt wie Altona von
Dänemark und Bockenheim von Kurhessen. In Harburg wurde das
Dampfboot bestiegen. Und groß war die Freude, wenn endlich die Metropole
der Niederelbe vor uns lag mit ihren vielen schlanken Türmen, ihren Schiffs-
masten, ihrem regen Leben und Treiben zu Wasser und zu Lande. Auch auf
den, der aus Frankfurt kam, machte Hamburg einen großartigen, einen fast
überwältigenden Eindruck. Die Unterschiede zwischen beiden Städten hatte
der alte Mathäus Merian mit den Worten bezeichnet: „Zu Frankfurt a.M.